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Samstags für die Zukunft

»Lebensschützer« borgen sich ihre Slogans gern von anderen Bewegungen. Das ließ sich auch auf dem diesjährigen »Marsch für das Leben« beobachten. In der Jungle World 39/2019.

Großen Einfallsreichtum legen die Veranstalter des »Marschs für das Leben« nicht an den Tag. Statt eigene Slogans zu formulieren, bedienen sich die sogenannten Lebensschützer lieber anderswo und versuchen, Parolen für ihre Zwecke abzuwandeln. Im Zuge der Welle der Solidarität mit Flüchtlingen ab 2015 waren sie mit dem Spruch »Willkommenskultur auch für Ungeborene« angetreten. In diesem Jahr hatte Alexandra Linder, die Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht (BVL), der den »Marsch für das Leben« in Berlin organisiert, einen »Saturday for Future« ausgerufen, in Anlehnung an »Fridays for Future«.

Während die Bewegung für den Klimaschutz am Freitag nach Polizeiangaben mehr als 100 000 Menschen in Berlin auf die Straßen gebracht hat, blieb die Teilnehmerzahl tags darauf beim christlich-fundamentalistischen Schweigemarsch der Polizei zufolge »bei ungefähr 2 700«. Die »Lebensschützer« hatten ihre eigene Zählweise: Hieß es auf der Auftaktkundgebung noch, die Teilnehmerzahl liege »im fünfstelligen Bereich«, verkündete Linder zum Schluss, es seien 8 000 Menschen gewesen – »so viele wie noch nie«. Die tatsächliche Zahl dürfte bei ungefähr 5 000 gelegen haben. Damit ist der Marsch im Vergleich zu der Stag­nation der Vorjahre deutlich gewachsen.

Viele Teilnehmer trugen Plakate im typischen Grün des BVL mit Sprüchen wie »Keine Kinder, keine Zukunft«. Die Organisation achtet auf ihre Außenwirkung, selbstgemachte Schilder werden häufig einkassiert. Ein Jugendlicher, der ein T-Shirt der Nachwuchsorganisation »Jugend für das Leben« trug, hatte Glück und durfte auf einem selbstgemachten Schild den Spruch zeigen: »Zählt nur die Zukunft von Kindern, die freitags nicht zur Schule gehen?«Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) des Gesundheitswesens hatte am Donnerstag voriger Woche beschlossen, dass Krankenkassen Schwangeren künftig den Bluttest auf die Trisomien 13, 18 und 21 bezahlen. Die Entscheidung wurde auch von feministischer, behindertenpolitischer und medizinischer Seite scharf kritisiert: Die Tests haben keinen gesundheitlichen Nutzen für die Schwangere oder das werdende Kind; daher wird befürchtet, der Druck auf Schwangere, Föten mit Trisomie abzutreiben, könne sich erhöhen und das gesellschaftlich negative Bild von Behinderung als »unnötigem Leiden« sich verfestigen.

Auch hier zeigten die »Lebensschützer« ihren Hang, Slogans zu übernehmen, und liefen mit einem der Behindertenbewegung auf: »Inklusion statt Selektion«. Allerdings wollten die Urheber der Parole damit zum Ausdruck bringen, dass ein gut ausgebautes Gesundheits- und Sozialsystem wichtig ist, damit sich werdende Eltern ohne Angst vor dem sozialen Abstieg für Kinder mit Behinderungen entscheiden können. Die christlich-fundamentalistischen Abtreibungsgegner benutzen hingegen diese Debatte, um ihr Kernanliegen zu befördern: die Gleichstellung von Föten mit geborenen Menschen. Ihr Ziel ist es, Antidiskriminierungsvorschriften und Menschenrechte auf Föten auszudehnen, was auch der Slogan »Inklusion auch für Ungeborene« ausdrückt. Mehr

Ab ins Heim

Menschen, die künstlich beatmet werden, könnten bald gegen ihren Willen in Heimen landen. Die Betroffenen organisieren den Widerstand. In der Jungle World 35/2019.

Bei Beatmung ab ins Heim – das jedenfalls befürchten viele als Folge des neuen Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG), dessen Entwurf das Bundesgesundheitsministerium kürzlich vorgestellt hat.

Nach Darstellung des Ministeriums sollen durch das Gesetz Intensivpflegebedürftige besser versorgt und Abrechnungsbetrug verhindert werden. Notwendig seien die Maßnahmen, weil die Zahl der Menschen mit hohem pflegerischen Bedarf, die zu Hause versorgt werden, auch dank des technischen Fortschritts stark gestiegen sei. Es sei jedoch auch von Fehlversorgung sowie von Fehlanreizen auszugehen. Vor einer Entlassung aus dem Krankenhaus würden die Patienten von der Beatmung oft nicht ausreichend entwöhnt, was die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtige. Erhebliche Unterschiede in der Vergütung im ambulanten und im stationären Bereich führten zu Fehlanreizen, heißt es in der Gesetzesbegründung. Im Mai hatte die Polizei einen Abrechnungsbetrug von Pflegediensten bei der Betreuung von Beatmungspatienten in mehreren Bundesländern aufgedeckt.

Die geschilderten Probleme versucht der für seinen Aktionismus bekannte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun offenbar auf die harte Tour zu lösen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass alle volljährigen Menschen mit intensivem Pflege- und Beatmungsbedarf in vollstationären Pflegeeinrichtungen, Heimen und speziellen Wohneinrichtungen versorgt werden sollen. Nur wenn das nicht möglich oder nicht zumutbar ist, könnten die Pflegebedürftigen in ihrer heimischen Wohnung bleiben. Ob die Zumutbarkeitsgrenze überschritten ist, soll individuell anhand der persönlichen und familiären Umstände sowie der örtlichen Gegebenheiten geprüft werden. Für sogenannte Altfälle soll es eine Übergangsfrist von drei Jahren geben. mehr

Rezension: Mietmutterschaft. Eine Menschenrechtsverletzung.

Die verdienstvolle und langjährige Aktivistin gegen Reproduktionstechnologien, Renate Klein, hat ein wütendes Buch gegen die Praxis der „Leihmutterschaft“ geschrieben. Die in Australien lebende Schweizerin ist ein Urgestein der Frauengesundheitsbewegung, schon auf dem ersten Kongress gegen Gen- und Reproduktionstechnik, der 1985 in Bonn stattfand, hatte sie eine Rede zum internationalen Frauenwiderstand gehalten. Daher ist es umso bedauerlicher, dass dieses Buch die in Deutschland dringend nötige Debatte um reproduktive Rechte und Gerechtigkeit vermutlich nicht weiterbringen wird. Dafür ist die Autorin zu eskalativ in ihrer Wortwahl – unter Katastrophe, Menschenrechtsverletzung, reproduktive Sklaverei geht es nicht –, aber zu unsorgfältig und beliebig in ihren Argumenten und Belegen. Die Praxis der Mietmutterschaft erscheint ihr so problematisch, dass ihre Bekämpfung die Zusammenarbeit mit Abtreibungsgegner*innen rechtfertigt – die Ermöglichung feministischer und frauengesundheitspolitischer Kollaborationen sähe dagegen anders aus. Bei einem Anknüpfen an neuere feministische Debatten steht Klein wohl auch ihr gegen Sexarbeit und Trans*geschlechtlichkeit gerichteter Feminismus im Weg, was die Rezensentin aufrichtig bedauert, aber politisch deswegen nicht weniger fragwürdig findet. Im GID 250.

Renate Klein (2018): Mietmutterschaft. Eine Menschenrechtsverletzung. Hamburg: Marta Press. 228 Seiten, 26 Euro, ISBN: 978-3-944442-17-4.

Lobby für Liberalisierung

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat Anfang Juni 2019 die Stellungnahme „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung“ veröffentlicht, in der ein neues, sehr liberales Fortpflanzungsmedizinrecht gefordert wird. Im GID 250.

Nach dem im März 2017 veröffentlichten Diskussionspapier „Ethische und rechtliche Beurteilung des genome editing in der Forschung an humanen Zellen“ versucht die Leopoldina mit der jetzigen Stellungnahme erneut die Axt an das Embryonenschutzgesetz zu legen. Auf einer Abendveranstaltung in Berlin wurde Anfang Juni das Ergebnis einer siebenjährigen Arbeitszeit vorgestellt und mit Politiker*innen diskutiert.

Der Medizinrechtler Jochen Taupitz hielt als Sprecher der Arbeitsgruppe den Eröffnungsvortrag, mit dem er ein Bild von dringendem Handlungsbedarf zeichnete, die Gefahren der Techniken kleinredete und die Probleme der jetzigen legalen Praxis dramatisierte. Zudem erzeugte er mit der präpotenten Aussage, mit der Stellungnahme eine Schwangerschaft im Parlament „anstoßen“ zu wollen, die vermutlich mit der „Geburt“ eines liberalen Fortpflanzungsmedizingesetzes enden soll, recht unangenehme Bilder in den Köpfen zumindest einiger Zuhörer*innen. Große Teile des Publikums, das sich hauptsächlich aus Angestellten von Fruchtbarkeitskliniken und Reproduktions-­Forscher*innen zusammenzusetzen schien, konnte diesem Drängen jedoch deutlich etwas abgewinnen.

Wissenschaftsakademie als Lobbygruppe

Die 1652 gegründete Leopoldina versteht sich als „klassische Gelehrtengesellschaft“, die zu einer „wissenschaftlich aufgeklärten Gesellschaft und einer verantwortungsvollen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Wohle von Mensch und Natur“ beiträgt. In ihrem Leitbild heißt es weiter, dass die Akademie „in der wissenschaftlichen Kommunikation und Politikberatung“ Themen setzen und „fachkompetent, unabhängig, transparent und vorausschauend Empfehlungen“ vorlegen würde.4 Die Stellungnahme zur Fortpflanzungsmedizin macht sehr deutlich, dass die Arbeitsgruppe hier ein Thema als relevant und dringend bearbeitungsbedürftig setzen möchte, an der Ausgewogenheit der Expertise und einer reflektierten Mischung verschiedener relevanter Fachkompetenzen kommen jedoch Zweifel auf. Die Stellungnahme liest sich wie ein „Wünsch dir was“ von Fruchtbarkeitskliniken und Reproduktionsmediziner*innen. Immerhin drei Personen der 20-köpfigen Arbeitsgruppe arbeiten denn auch in leitender Position in Kinderwunschzentren. Eher kritische Geister wie die feministische Philosophin Susanne Lettow waren dagegen schon vor Jahren aus der Arbeitsgruppe ausgeschieden.

Der Rest des Textes und die Fußnoten finden hier.

„Moralischer Druck auf Schwangere“

Pro Femina eröffnet eine Beratungsstelle für ungewollt Schwangere in Berlin. Dort werden Frauen nicht ergebnisoffen beraten, sagt Kirsten Achtelik. Interview durch Patricia Hecht in der taz vom 29.07.19

taz: Frau Achtelik, am Donnerstag soll eine Beratungsstelle für ungewollt Schwangere auf dem Kurfürstendamm in Berlin eröffnen. Sie unterstützen den Aufruf zur Gegenkundgebung. Warum?

Kirsten Achtelik: Die „Beratungsstelle“, die dort eröffnet wird, ist von Pro Femina, dieser Verein gehört zum Spektrum sogenannter Lebensschutzorganisationen. Hier werden ungewollt Schwangere also nicht ergebnisoffen, sondern mit dem Ziel beraten, dass sie das Kind bekommen. Anders als offizielle Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen stellt Pro Femina auch keine Beratungsscheine aus, die für Schwangerschaftsabbrüche hierzulande nötig sind.

Auf der Website geht es um ein Angebot für „Frauen im Schwangerschaftskonflikt“. Woher wissen Sie, dass Pro Femina nicht ergebnisoffen berät?

Zum einen wird nicht offengelegt, dass keine Beratungsscheine ausgestellt werden. Das ist ein großes Problem, weil Frauen damit rechnen können, sie wären bei einer offiziellen Stelle gelandet. Reporterinnen von Buzzfeed haben sich außerdem in den bereits existierenden Beratungsstellen von Pro Femina in München und Heidelberg undercover angeschaut, wie tatsächlich beraten wird. Das ist erschreckend. Dort wird moralischer Druck auf Schwangere aufgebaut, außerdem wird versucht, sie hinzuhalten, bis die Frist verstrichen ist, innerhalb der sie abtreiben können. Die Frau ist für diese Abtreibungsgegner*innen bei aller angeblichen Zuwendung eher das Instrument, um den Fötus zu retten.

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Von wegen für die Frau

In Deutschland gründen Abtreibungsgegner immer mehr sogenannte Beratungsstellen für Schwangere, deren Zweck allerdings ausschließlich in der Verhinderung von Abtreibungen besteht. In der Jungle World 31/2019.

Ungewollt Schwangeren, die die Schwangerschaft beenden wollen, werden in Deutschland viele unnötige Hürden in den Weg gelegt: Der Paragraph 218 des Strafgesetzbuchs lässt Abtreibungen nur in Ausnahmefällen, bei medizinischen Indikationen oder nach Zwangsberatung und Reflektionszeit zu; Ärztinnen und Ärzten ist es auch nach der Reform des Paragraphen 219a verboten, im Internet über die von ihnen angebotenen Abbruchmethoden zu informieren.

In einigen Städten, auch in größeren, gibt es mittlerweile niemanden mehr, die oder der überhaupt Schwangerschaftsabbrüche vornimmt. Doch die »Lebensschutzbewegung« tut ihr Möglichstes, diese schwierigen Bedingungen weiter zu verschlechtern, beispielsweise mit Anzeigen gegen Ärztinnen, der Diffamierung von gesundheitspolitisch Aktiven als »Abtreibungslobby« und mit eigenen »Beratungsstellen«. In Berlin hat Anfang Juli eine solche »Beratungsstelle« eines Vereins namens »Pro Femina« eröffnet, die laut Eigenbeschreibung ungewollt Schwangere nach »den drei Grundprinzipien: Empathie, Respekt und Vertrauen« berät.

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„Wir brauchen keine teure Studie, die beweist, was wir schon wissen“

Zum Koalitionskompromiss beim Abtreibungsrecht gehört eine Studie zu psychischen Folgen nach Schwangerschaftsabbrüchen. Sozialforscherin Kirsten Achtelik erklärt, warum sie das für gefährlich hält. Interview von Milena Hassenkamp auf Spiegel Online vom 15.02.2019

An diesem Freitag wurde der Gesetzentwurf erstmals im Bundestag diskutiert, in der nächsten Woche geht er in den Rechtsausschuss. Sozialwissenschaftlerin Kirsten Achtelik verfolgt den Prozess mit Sorge:

SPIEGEL ONLINE: An diesem Freitag wurde im Bundestag der Kompromiss zur Veränderung des Paragrafen 219a erstmals diskutiert. Was halten Sie von dem Kompromiss?

Kirsten Achtelik: Es ist ein winzig kleiner Fortschritt, dass die Ärzte auf ihren Internetseiten darüber informieren können, dass sie Abbrüche vornehmen. Der Nachteil ist, dass die Information über die Methode explizit verboten ist.

SPIEGEL ONLINE: Zum Kompromiss gehört eine Studie zu den möglichen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen, die Gesundheitsminister Jens Spahn in Auftrag geben will. Sie halten diese Studie für falsch. Warum?

Achtelik: Wir brauchen keine teure Studie, die beweist, was wir schon wissen. Es gibt international genügend Untersuchungen, die zeigen, dass die meisten Frauen nach Abbrüchen erleichtert sind. Die Studien, die überprüfen, ob es das sogenannte Post Abortion Syndrom gibt, haben alle gezeigt: Das Syndrom existiert nicht. Für den deutschen Kontext halte ich die Studie „Frauenleben 3“, die die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2016 veröffentlicht hat, für völlig ausreichend. Da stehen einige Empfehlungen drin, die bis heute nicht umgesetzt worden ist. Zum Beispiel zur besseren Vereinbarkeit des Wunsches, arbeiten zu gehen und Kinder zu bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Was halten Sie an der Studie für gefährlich?

Achtelik: Wenn am Ende herauskommt, dass Frauen keine negativen Folgen spüren, dann ist es halt im schlimmsten Falle rausgeschmissenes Geld. Aber die fünf Jahre, während die Studie läuft, steht im Raum, dass es Forschungs- und Handlungsbedarf gibt. Damit wird dieser Topos weiter festgesetzt, und militante Abtreibungsgegner können das Bild etablieren, dass Frauen bei Abtreibungen zu einem „zweiten Opfer“ werden. Je tabuisierter Abtreibungen sind, desto schwieriger ist es für die Ärzte und Ärztinnen, sie anzubieten. Der Artikel 218 im Strafgesetzbuch sorgt dafür: Abtreibung ist nicht legal, sondern nur straffrei.

SPIEGEL ONLINE: Hat ein Schwangerschaftsabbruch keine negativen Folgen für eine Frau?

Achtelik: Natürlich sind manche Frauen traurig danach. Und denken auch manchmal daran. Aber an etwas zu denken heißt ja nicht, dass man traumatisiert ist. Der Diskurs hat sich da aber verselbstständigt: Ich kann es wirklich nicht mehr lesen: „Keine Frau macht sich das leicht“. Warum soll sie sich das überhaupt schwer machen? Man muss auch sagen können: Es gibt Frauen, für die es nicht schwer ist. Die Betonung, dass eine Frau es sich nicht leicht machen darf, suggeriert, dass ein Abbruch negative Folgen hat. Damit tun sich auch frauenpolitisch Aktive keinen Gefallen.

SPIEGEL ONLINE: Warum wird die Studie dann überhaupt in Auftrag gegeben?

Achtelik: Die CDU fürchtet, den Markenkern ihrer Partei zu verlieren. Deswegen will sie ihren vermeintlichen Kern betonen: Das Christliche und den Schutz des „ungeborenen Lebens“. Da darf aus deren Sicht auf keinen Fall etwas liberalisiert werden – zumindest nicht über einen bestimmten Punkt hinaus.

Fundis für Föten

Frauenfeindliche Positionen der „Lebensschutz“-Bewegung, in GID 249, 05/2019

Die „Lebensschutz“-Bewegung behauptet sich für Behinderte einzusetzen. Tatsächlich geht es ihr aber vor allem um das Verhindern von Schwangerschaftsabbrüchen. In diesem Punkt trifft sie sich mit der AfD, in anderen versucht die „Lebensschutz“-Bewegung sich von der AfD zu distanzieren.

Die „Lebensschutz“-Bewegung möchte harmlos erscheinen, als freundliche Menschen, die an konservativen – keinesfalls rechten – Werten festhalten. In erster Linie geben sie sich besorgt um das Wohlergehen aller, vor allem um das von Kindern. Die „Kinder“, die diese Bewegung schützen will, sind jedoch noch gar keine. Vielmehr geht es um Föten oder werdende Kinder, die sich in den Körpern von Schwangeren befinden. Es geht der „Lebensschutz“-Bewegung also nicht um Kinderschutz, sondern darum, Frauen von Schwangerschaftsabbrüchen abzuhalten. Dazu sind der Bewegung viele Mittel recht: Wo es möglich ist, wie in vielen südamerikanischen Ländern, setzen sie auf Abtreibungsverbote und sind so mitverantwortlich für Tote und Schwerverletzte.(1) Das ist jedoch glücklicherweise in Deutschland und den meisten europäischen Ländern zurzeit keine realistische Option.

Antiemanzipatorische Strategien

Abtreibungsgegner*innen setzten hier daher verstärkt darauf, den Zugang zu dieser medizinischen Leistung zu erschweren und ungewollt Schwangeren die Erfahrung so unangenehm wie möglich zu machen. Dazu zeigen sie Ärzt*innen an, die auf ihren Webseiten bekannt geben, dass sie Abtreibungen durchführen, stellen sich vor Beratungsstellen und Arztpraxen auf und beten dort oder bedrängen Frauen verbal und körperlich.

Auch im Internet sind sie aktiv, viele Webseiten, die scheinbar neutrale Informationen und Hilfe anbieten, sind Seiten von Abtreibungsgegner*innen. Dazu gehören auch die Seiten von Pro Femina – für Lai*innen ist das aber kaum zu erkennen. Dieser Verein bietet auch Beratungsgespräche an, ohne den in Deutschland für einen Abbruch benötigten Beratungsschein auszustellen und auch ohne das den Frauen vorher zu sagen.(2) Der Verein hat angekündigt, demnächst seine 3. Beratungsstelle zu eröffnen, in Berlin.

Das Leben liegt für diese meist religiös motivierten Menschen in Gottes Hand, sie lehnen es ab, dass Menschen versuchen über ihr Leben selbst zu bestimmen. Es handelt sich nicht nur um Abtreibungsgegner*innen, vielmehr sind diesen fundamentalistischen Christ*innen Homosexualität, nicht auf Reproduktion ausgerichteter Sex, vorurteilsfreie Sexualaufklärung und die Infragestellung von Zweigeschlechtlichkeit genauso zuwider. In ihrer Ablehnung von Feminismus und der Klage über einen durch „die 68er“ verursachten Werteverfall trifft sich die „Lebensschutz“-Bewegung mit rechten und extrem rechten Strömungen, hier wie dort wird eine demografische Krise beschworen. Für die extrem rechte Wochenzeitung Junge Freiheit ist die „Lebensschutz“-Bewegung eine wichtige Bezugsgröße, der sie zum alljährlichen bundesweiten „Marsch für das Leben“ in Berlin mehrere Seiten widmet. Darunter auch lange Interviews mit der*m jeweiligen Vorsitzenden des Bundesverbands Lebensrecht (BVL), dem Dachverband vieler deutscher „Lebensschutz“-Gruppen und Organisator des Marsches. Völkische und rassistische Argumentationsmuster gehen eine hässliche Melange mit der Angst vor einer angeblichen Islamisierung ein: „Ein Volk stirbt im Mutterleib“ warnte die „Aktion Lebensrecht für Alle“ (AlfA).(3) Das von der Bewegung so vehement verteidigte „Recht auf Leben“ gilt dann eben doch nicht mehr für alle gleich.

Wie hältst du‘s mit der AfD?

Allerdings ist an der Frage der Migration auch eine Sollbruchstelle zwischen „Lebensschutz“-Bewegung und rechten Parteien und Strömungen zu beobachten. 2015 marschierte die jetzige AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch in der ersten Reihe des Berliner „Marsch für das Leben“. Mit ihrer Erklärung im Januar 2016, dass es richtig sei, auf Frauen und Kinder zu schießen, wenn diese widerrechtlich die deutsche Grenze überqueren wollten, disqualifizierte sie sich offensichtlich für einen solch prominenten Platz in der Bewegung. Die Bewegung fühlt sich zu Unrecht als rechts wahrgenommen und versucht daher, sich von den offensichtlichsten rassistischen Tendenzen abzugrenzen. Hierzu wird explizit positiv auf die Willkommenskultur für Geflüchtete Bezug genommen und auch deren Leben als schützenswert benannt.

Auch in einer anderen Frage fremdeln die „Lebensschutz“-Bewegung und die AfD miteinander: Die Bewegung behauptet, sich in christlicher Manier für „die Schwachen“ einzusetzen. Föten mit Beeinträchtigungen werden als die „Schwächsten der Schwachen“ bezeichnet, als deren alleinige Anwält*innen sich die Abtreibungsgegner*innen begreifen. Dahingegen stellte die AfD vor einem guten Jahr eine behindertenfeindliche Kleine Anfrage über „Schwerbehinderte in Deutschland“ an die Bundesregierung.(4) Die einzige explizit behindertenpolitische Position der Partei findet sich im 2016 beschlossenen Grundsatzprogramm, es ist die Ablehnung von „Inklusion um jeden Preis“. Was auch immer das genau heißen mag, besonders behindertenfreundlich klingt es nicht. In der Orientierungsdebatte des Bundestags zur Kassenzulassung des pränatalen Bluttests auf die Trisomien 13, 18 und 21 am 11. April gaben sich die Redner*innen der AfD dagegen sichtlich Mühe, behindertenpolitische Positionen zu vertreten. Beatrix von Storch berief sich sogar positiv auf das Argumentationspapier gegen die Kassenzulassung der Tests, welches das Gen-ethische Netzwerk zusammen mit elf anderen Organisationen vor der Bundestagsdebatte veröffentlicht hatte. Auf solche Zustimmung verzichten wir allerdings lieber, vor allem von Menschen, die von Kräften fabulieren, die „eine Welt mit optimierten Menschen“ wollten.(5)

Wie die „Lebensschutz“-Bewegung ihre vermeintliche Behindertenfreundlichkeit nutzt um Schwangerschaftsabbrüche generell zu erschweren, ist momentan besonders gut in Österreich zu beobachten. Hier hat die Kampagne #fairändern etwa 56.000 Unterschriften „für ein kinder- und familienfreundliches Österreich“ gesammelt. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine harmlose, behinderten- und frauenfreundliche Initiative mit richtigen Forderungen, ist vielmehr ein strategisch geschickter Versuch von knallharten Rechtskatholik*innen und Abtreibungsgegner*innen, die Möglichkeiten zum Abbruch einzuschränken und den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts zu drücken. Die vermeintliche Abwehr von behindertenfeindlicher Diskriminierung durch die geforderte Abschaffung der embryopathischen Indikation wird dabei als Hebel benutzt.

Es wird nicht nur in Österreich zunehmend wichtiger, dass sich feministische und behindertenpolitische Bewegungen nicht gegeneinander ausspielen lassen – das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft gehören schließlich zu den Kernforderungen beider Bewegungen.


Fußnoten:
(1)    Bericht von Ärzte ohne Grenzen über die Folgen unsicherer Schwangerschaftsabbrüche: Weltweit müssen jedes Jahr mehr als 7 Millionen Frauen ins Krankenhaus und über 22.000 sterben (04.03.2019). Online: www.kurzlink.de/gid249_zr oder www.aerzte-ohne-grenzen.de [letzter Zugriff: 18.04.2019].
(2)    Buzzfeed hat sich die Beratungspraxis mal etwas genauer angeschaut: Loeffler, Juliane (11.12.2018): Dein Bauch gehört mir. Online: www.kurzlink.de/gid249_zq oder www.buzzfeed.com [letzter Zugriff: 18.04.2019].
(3)    Ottmar, Tobias-B. (2005): Ein Volk stirbt im Mutterleib. In: Lebens Forum 75, S.4-8.
(4)    Diese stellte eine Verbindung her zwischen der Zahl der Menschen mit Behinderung, deren „Migrationshintergrund“ und dem Verwandtschaftsstatus ihrer Eltern. Die AfD-Anfrage und die Antwort der Bundesregierung unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/016/1901623.pdf [letzter Zugriff: 18.04.2019].
(5)    Das Argumentationspapier findet sich hier: www.gen-ethisches-netz
werk.de/node/3910, dem Antanzversuch der AfD-Abgeordneten (Deutscher Bundestag: Plenarprotokoll, 95. Sitzung, 11.04.2019, S.11331) haben wir sofort und deutlich auf Twitter widersprochen: www.kurzlink.de/gid249_zp.

Not your inspiration, oder?

Kritik an Netflix-Show „Queer Eye“. Die Show wird zu Recht gerühmt für den wertschätzenden Umgang mit den Kandidat*innen. Nach der Folge mit einem Querschnittsgelähmten gab es Kritik. In der taz Gesellschaft/Medien vom 30.07.19

Die Netflix-Reality Show „Queer Eye“ verleiht in jeder Folge einer Person ein Makeover – anders als in vielen anderen Shows gibt es hier aber weder Geringschätzung noch Verächtlichmachung. Stattdessen sind die „Fab Five“, die fünf queeren und schwulen Berater*innen, zugewandt, respektvoll und häufig bereit, Storys aus ihrem eigenen Leben über Depression oder Diskriminierung zu teilen.

Die Kandidat*innen bekommen nicht nur ein äußeres Makeover, vielmehr werden auch schwierige Lebensbedingungen thematisiert und Freund*innen, Familie und die Community in den Veränderungsprozess mit einbezogen. Diese wertschätzende Hilfe und die gemeinsamen Bemühungen, zum eigenen „besseren Selbst“ zu werden, ist oft zu Tränen rührend.

Um so bedauerlicher, dass das Einbeziehen der Community und ihrer Debatten ausgerechnet in der zweiten Folge der gerade gestarteten vierten Staffel nicht wirklich gelingt. Protagonist ist der 30-jährige querschnittsgelähmte schwarze Wesley Hamilton, der eine Dealer-Karriere hinter sich hat und mit 24 Jahren mehrfach angeschossen wurde. Aus Bettlägerigkeit, Übergewicht und Depression hat er sich selbst mit Sport und Ernährungsumstellung befreit und die NGO „Disabled but not really“ gegründet.

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