Am vorigen Wochenende hätten in der Gedenkstätte Frauenkonzentrationslager Ravensbrück die Gedenkfeierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Befreiung stattfinden sollen. Doch sie mussten wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt werden. In der Jungle World 17/2020
In Fragen, wie wem in dem ehemaligen Frauenkonzentrationslager Ravensbrück gedacht werden soll, gab es in den vergangenen Jahren große Konflikte – zur Rolle des Mädchenlagers, zur Repräsentation der lesbischen Opfer und zuletzt verstärkt zu Vereinnahmungsversuchen durch polnische Rechte.
Im zwei Fahrtstunden nördlich von Berlin gelegenen Ravensbrück ließ die SS 1939 das größte Konzentrationslager für Frauen auf deutschem Boden errichten. Das ursprünglich für 3 000 Häftlinge vorgesehene Lager wurde 1941 um ein Männerlager und 1942 um das »Jugendschutzlager Uckermark« für junge Frauen und Mädchen erweitert. Es gab über 40 Außenlager, in denen die Deportierten Zwangsarbeit leisten mussten. Die Häftlinge stammten aus über 30 Nationen, sie waren unter anderem als Jüdinnen, als Sintize und Romnja, wegen Arbeitsverweigerung, Prostitution oder politischem Widerstand inhaftiert. In dem Konzentrationslager waren bis zur Befreiung etwa 120 000 Frauen und Kinder, 20 000 Männer und 1 200 weibliche Jugendliche eingesperrt. Wie viele Zehntausend von ihnen auf welche Weise, durch Gas, Erschießungen, medizinische Experimente, Zwangsarbeit, Giftinjektionen, Erfrieren oder Auszehrung umgebracht wurden, kann nicht mehr genau rekonstruiert werden. Am 30. April 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Ravensbrück mit etwa 2 000 dort zurückgelassenen Kranken. Die Akten der Lagerverwaltung hatte die SS zum großen Teil noch kurz vor der Befreiung des Lagers verbrannt.
2020 hätte ein Jahr der großen Gedenkfeiern an die Befreiung werden sollen, wegen der Covid-19-Pandemie wurden alle Großveranstaltungen abgesagt; auch gehören die wenigen Überlebenden zu der Risikogruppe, die bei einer Ansteckung durch oft schwere Verläufe der Krankheit gefährdet ist. Die scheidende Leiterin der Gedenkstätte, Insa Eschebach, sagt im Gespräch mit der Jungle World, dass 40 Überlebende mit ihren Angehörigen teilnehmen wollten. Die Absage der 30 Veranstaltungen und damit auch der Möglichkeit des Wiedersehens der Überlebenden sei ein »schmerzhafter und trauriger Prozess« gewesen. Man werde versuchen, den Jahrestag der Befreiung auf der Internetseite der Stiftung, sowie über Twitter und auf Facebook mit der Veröffentlichung von eigentlich geplanten Reden, Statements und Bildern von wichtigen Objekten zu begehen.
Die Nationale Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück war eine der drei Gedenkstätten an Orten ehemaliger Konzentrationslager in der DDR. Das Gedenken konzentrierte sich auf die kommunistischen Widerstandskämpferinnen und schuf ein staatstragendes Frauenbild: stark, solidarisch und fürsorglich. Andere Opfergruppen kamen entweder gar nicht oder nur am Rande vor. Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik erweiterte sich das Opfer- und das damit verbundene Frauenbild allmählich, allerdings wurden bislang übergangene Opfergruppen wie »Asoziale« und »Berufsverbrecher« erst im Februar dieses Jahres vom Bundestag als solche anerkannt (Jungle World 8/2020).
Nach der Befreiung nutzte die Sowjetarmee große Bereiche des ehemaligen Konzentrationslagers als Kaserne, auch das Gelände des ehemaligen Mädchenlagers. Die Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e.V. bemüht sich seit Jahren darum, einen der Öffentlichkeit zugänglichen Gedenkort zu schaffen und auf die vergessenen Opfergruppen aufmerksam zu machen. »Arische« deutsche Jugendliche sollten vor den als unerziehbar oder »sexuell verwahrlost« geltenden Mädchen geschützt werden, auch nach dem Krieg galten die sogenannten Jugendschutzlager nicht als spezifisches nationalsozialistisches Unrecht. Den bereits von den Nationalsozialisten verwendeten Begriff »Jugendschutzlager« lehnt die Initiative als beschönigend ab; sie spricht explizit von einem Konzentrationslager. Die Gedenkstätte verwendet hingegen die historische Bezeichnung, die allerdings auf deren Internetseite in Anführungszeichen steht. Die langjährigen Konflikte zwischen der Initiative und der Gedenkstätte um Repräsentation und Anerkennung haben sich zu einem Nebeneinander zweier Gedenkorte mit unterschiedlichen Ansätzen verfestigt. Um die Befreiungsfeierlichkeiten zu begehen, hat die Initiative in diesem Jahr einen Podcast veröffentlicht. Die eigentlich geplante Eröffnung einer neuen Ausstellung auf dem Gelände muss hingegen verschoben werden.
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