Feministische Slogans sind keine Wunderwaffe gegen die Methoden der Pränataldiagnostik (in ak Nr. 619 / 20.9.2016 )
Am 17. September war es wieder soweit: Der »Marsch für das Leben« zog durch Berlin. Mehrere Tausend »Lebensschützer« demonstrierten mit einem Schweigemarsch gegen Abtreibung. Die Proteste gegen diese Märsche erfreuen sich in linken und (queer)feministischen Kreisen zunehmender Beliebtheit. Den radikalen Abtreibungsgegner_innen hauptsächlich mit der Parole des »Rechts auf Selbstbestimmung« begegnen zu wollen, ist jedoch eine problematische Strategie.
Politisch aktive Abtreibungsgegner_innen rekrutieren sich aus einem konservativen bis rechten, christlichen Milieu. Die »Lebensschützer« als Bewegung eint die Annahme, dass »das Leben« mit der Vereinigung von Eizelle und Samenzelle beginnt und unbedingt schützenswert ist. Der Abbruch einer Schwangerschaft, die Verhinderung der Einnistung der befruchteten Eizelle zum Beispiel durch die »Pille danach« oder auch die Nichteinpflanzung oder Zerstörung eines Embryos im Labor gelten ihnen als inakzeptable Tötungsvorgänge.
Seit 2002 findet der »Marsch für das Leben« in Berlin unter dem Motto »Ja zum Leben – für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie!« statt. Bei der als Schweigemarsch durchgeführten Demonstration werden ein Meter hohe weiße Holzkreuze und vom organisierenden Bundesverband Lebensrecht (BVL) vorgefertigte Schilder im einheitlichen Design mitgeführt. Auf letzteren wird zunehmend nicht mehr nur Abtreibung, sondern ein breiteres biopolitisches Themenfeld bespielt: Kritisiert werden die Selektion von als behindert diagnostizierten Föten und als »Euthanasie« bezeichnete Sterbehilfe. Radikale Abtreibungsgegner_innen versuchen, sich als wichtigste Kritiker_innen an Pränataldiagnostik darzustellen und diese Kritik im öffentlichen Bewusstsein möglichst untrennbar mit dem Konzept des »Lebensschutzes« zu verknüpfen: Bei dem letztjährigen Marsch wurde mit dem Spruch »Inklusion beginnt schon vor der Geburt« das vorrangige behindertenpolitische Ziel der gesellschaftlichen Inklusion behinderter Menschen mit einer Kritik an Abtreibung verbunden.
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