Frauenfeindliche Positionen der „Lebensschutz“-Bewegung, in GID 249, 05/2019
Die „Lebensschutz“-Bewegung behauptet sich für Behinderte einzusetzen. Tatsächlich geht es ihr aber vor allem um das Verhindern von Schwangerschaftsabbrüchen. In diesem Punkt trifft sie sich mit der AfD, in anderen versucht die „Lebensschutz“-Bewegung sich von der AfD zu distanzieren.
Die
„Lebensschutz“-Bewegung möchte harmlos erscheinen, als freundliche
Menschen, die an konservativen – keinesfalls rechten – Werten
festhalten. In erster Linie geben sie sich besorgt um das Wohlergehen
aller, vor allem um das von Kindern. Die „Kinder“, die diese Bewegung
schützen will, sind jedoch noch gar keine. Vielmehr geht es um Föten
oder werdende Kinder, die sich in den Körpern von Schwangeren befinden.
Es geht der „Lebensschutz“-Bewegung also nicht um Kinderschutz, sondern
darum, Frauen von Schwangerschaftsabbrüchen abzuhalten. Dazu sind der
Bewegung viele Mittel recht: Wo es möglich ist, wie in vielen
südamerikanischen Ländern, setzen sie auf Abtreibungsverbote und sind so
mitverantwortlich für Tote und Schwerverletzte.(1) Das ist jedoch
glücklicherweise in Deutschland und den meisten europäischen Ländern
zurzeit keine realistische Option.
Antiemanzipatorische Strategien
Abtreibungsgegner*innen setzten hier daher verstärkt darauf, den
Zugang zu dieser medizinischen Leistung zu erschweren und ungewollt
Schwangeren die Erfahrung so unangenehm wie möglich zu machen. Dazu
zeigen sie Ärzt*innen an, die auf ihren Webseiten bekannt geben, dass
sie Abtreibungen durchführen, stellen sich vor Beratungsstellen und
Arztpraxen auf und beten dort oder bedrängen Frauen verbal und
körperlich.
Auch im Internet sind sie aktiv, viele Webseiten, die scheinbar
neutrale Informationen und Hilfe anbieten, sind Seiten von
Abtreibungsgegner*innen. Dazu gehören auch die Seiten von Pro Femina –
für Lai*innen ist das aber kaum zu erkennen. Dieser Verein bietet auch
Beratungsgespräche an, ohne den in Deutschland für einen Abbruch
benötigten Beratungsschein auszustellen und auch ohne das den Frauen
vorher zu sagen.(2) Der Verein hat angekündigt, demnächst seine 3.
Beratungsstelle zu eröffnen, in Berlin.
Das Leben liegt für diese meist religiös motivierten Menschen in
Gottes Hand, sie lehnen es ab, dass Menschen versuchen über ihr Leben
selbst zu bestimmen. Es handelt sich nicht nur um
Abtreibungsgegner*innen, vielmehr sind diesen fundamentalistischen
Christ*innen Homosexualität, nicht auf Reproduktion ausgerichteter Sex,
vorurteilsfreie Sexualaufklärung und die Infragestellung von
Zweigeschlechtlichkeit genauso zuwider. In ihrer Ablehnung von
Feminismus und der Klage über einen durch „die 68er“ verursachten
Werteverfall trifft sich die „Lebensschutz“-Bewegung mit rechten und
extrem rechten Strömungen, hier wie dort wird eine demografische Krise
beschworen. Für die extrem rechte Wochenzeitung Junge Freiheit ist die
„Lebensschutz“-Bewegung eine wichtige Bezugsgröße, der sie zum
alljährlichen bundesweiten „Marsch für das Leben“ in Berlin mehrere
Seiten widmet. Darunter auch lange Interviews mit der*m jeweiligen
Vorsitzenden des Bundesverbands Lebensrecht (BVL), dem Dachverband
vieler deutscher „Lebensschutz“-Gruppen und Organisator des Marsches.
Völkische und rassistische Argumentationsmuster gehen eine hässliche
Melange mit der Angst vor einer angeblichen Islamisierung ein: „Ein Volk
stirbt im Mutterleib“ warnte die „Aktion Lebensrecht für Alle“
(AlfA).(3) Das von der Bewegung so vehement verteidigte „Recht auf
Leben“ gilt dann eben doch nicht mehr für alle gleich.
Wie hältst du‘s mit der AfD?
Allerdings ist an der Frage der Migration auch eine Sollbruchstelle
zwischen „Lebensschutz“-Bewegung und rechten Parteien und Strömungen zu
beobachten. 2015 marschierte die jetzige AfD-Bundestagsabgeordnete
Beatrix von Storch in der ersten Reihe des Berliner „Marsch für das
Leben“. Mit ihrer Erklärung im Januar 2016, dass es richtig sei, auf
Frauen und Kinder zu schießen, wenn diese widerrechtlich die deutsche
Grenze überqueren wollten, disqualifizierte sie sich offensichtlich für
einen solch prominenten Platz in der Bewegung. Die Bewegung fühlt sich
zu Unrecht als rechts wahrgenommen und versucht daher, sich von den
offensichtlichsten rassistischen Tendenzen abzugrenzen. Hierzu wird
explizit positiv auf die Willkommenskultur für Geflüchtete Bezug
genommen und auch deren Leben als schützenswert benannt.
Auch in einer anderen Frage fremdeln die „Lebensschutz“-Bewegung und
die AfD miteinander: Die Bewegung behauptet, sich in christlicher Manier
für „die Schwachen“ einzusetzen. Föten mit Beeinträchtigungen werden
als die „Schwächsten der Schwachen“ bezeichnet, als deren alleinige
Anwält*innen sich die Abtreibungsgegner*innen begreifen. Dahingegen
stellte die AfD vor einem guten Jahr eine behindertenfeindliche Kleine
Anfrage über „Schwerbehinderte in Deutschland“ an die
Bundesregierung.(4) Die einzige explizit behindertenpolitische Position
der Partei findet sich im 2016 beschlossenen Grundsatzprogramm, es ist
die Ablehnung von „Inklusion um jeden Preis“. Was auch immer das genau
heißen mag, besonders behindertenfreundlich klingt es nicht. In der
Orientierungsdebatte des Bundestags zur Kassenzulassung des pränatalen
Bluttests auf die Trisomien 13, 18 und 21 am 11. April gaben sich die
Redner*innen der AfD dagegen sichtlich Mühe, behindertenpolitische
Positionen zu vertreten. Beatrix von Storch berief sich sogar positiv
auf das Argumentationspapier gegen die Kassenzulassung der Tests,
welches das Gen-ethische Netzwerk zusammen mit elf anderen
Organisationen vor der Bundestagsdebatte veröffentlicht hatte. Auf
solche Zustimmung verzichten wir allerdings lieber, vor allem von
Menschen, die von Kräften fabulieren, die „eine Welt mit optimierten
Menschen“ wollten.(5)
Wie die „Lebensschutz“-Bewegung ihre vermeintliche
Behindertenfreundlichkeit nutzt um Schwangerschaftsabbrüche generell zu
erschweren, ist momentan besonders gut in Österreich zu beobachten. Hier
hat die Kampagne #fairändern etwa 56.000 Unterschriften „für ein
kinder- und familienfreundliches Österreich“ gesammelt. Was auf den
ersten Blick aussieht wie eine harmlose, behinderten- und
frauenfreundliche Initiative mit richtigen Forderungen, ist vielmehr ein
strategisch geschickter Versuch von knallharten Rechtskatholik*innen
und Abtreibungsgegner*innen, die Möglichkeiten zum Abbruch
einzuschränken und den gesellschaftlichen Diskurs nach rechts zu
drücken. Die vermeintliche Abwehr von behindertenfeindlicher
Diskriminierung durch die geforderte Abschaffung der embryopathischen
Indikation wird dabei als Hebel benutzt.
Es wird nicht nur in Österreich zunehmend wichtiger, dass sich
feministische und behindertenpolitische Bewegungen nicht gegeneinander
ausspielen lassen – das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und eine
gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft gehören schließlich zu
den Kernforderungen beider Bewegungen.
Fußnoten:
(1) Bericht von Ärzte ohne Grenzen über die Folgen unsicherer
Schwangerschaftsabbrüche: Weltweit müssen jedes Jahr mehr als 7
Millionen Frauen ins Krankenhaus und über 22.000 sterben (04.03.2019).
Online: www.kurzlink.de/gid249_zr oder www.aerzte-ohne-grenzen.de [letzter Zugriff: 18.04.2019].
(2) Buzzfeed hat sich die Beratungspraxis mal etwas genauer
angeschaut: Loeffler, Juliane (11.12.2018): Dein Bauch gehört mir.
Online: www.kurzlink.de/gid249_zq oder www.buzzfeed.com [letzter Zugriff: 18.04.2019].
(3) Ottmar, Tobias-B. (2005): Ein Volk stirbt im Mutterleib. In: Lebens Forum 75, S.4-8.
(4) Diese stellte eine Verbindung her zwischen der Zahl der Menschen
mit Behinderung, deren „Migrationshintergrund“ und dem
Verwandtschaftsstatus ihrer Eltern. Die AfD-Anfrage und die Antwort der
Bundesregierung unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/016/1901623.pdf [letzter Zugriff: 18.04.2019].
(5) Das Argumentationspapier findet sich hier: www.gen-ethisches-netz
werk.de/node/3910, dem Antanzversuch der AfD-Abgeordneten (Deutscher
Bundestag: Plenarprotokoll, 95. Sitzung, 11.04.2019, S.11331) haben wir
sofort und deutlich auf Twitter widersprochen: www.kurzlink.de/gid249_zp.