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Her mit der Hilfe

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronakrise treffen prekär Beschäftigte, Illegalisierte und Obdachlose besonders hart. Kommentar in der Jungle World 12/2020

Die Anfrage der Jungle World für einen Kommentar zu den ökonomischen Folgen der Coronaepidemie für Prekäre und Selbständige erreicht mich im ICE auf dem Weg zu einer Podiumsdiskussion über reproduktive Gerechtigkeit. Es ist der Tag, an dem die WHO Covid-19 von einer Epidemie zur Pandemie hochstuft. Auf Facebook wird eine Veranstaltung nach der anderen abgesagt, um dazu beizutragen, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen.

Sollte ich das auch machen? Verhalte ich mich unverantwortlich, wenn ich mit dem Zug reise und später Menschen an einem Ort zum Diskutieren zusammenbringe? Auf Twitter debattieren derweil immer mehr Menschen darüber, ob auch Soloselbstständige für ihre Verdienstausfälle entschädigt werden könnten. Freunde und Bekannte sorgen sich, dass sie monatelang kein Geld verdienen werden, während die Ausgaben konstant bleiben oder steigen.

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Vom Kopf auf die Füße

Neuseeland reformiert seine Abtreibungsgesetze. Künftig werden dort Schwangerschaftsabbrüche bis zur 20. Woche legal sein. Und Deutschland? Kommentar in der taz vom 19.03.2020

In Neuseeland werden Schwangerschaftsabbrüche bis zur 20. Woche künftig nicht mehr verboten sein. Das hat das Parlament am Mittwoch entschieden und damit den ungewollt schwangeren Neu­see­län­de­r*in­nen die Entscheidungsberechtigung übertragen.

Eine Abtreibung nach der 20. Woche wiederum wird möglich sein, sofern ein*e Ärz­t*in den Abbruch für die „gesundheitlich angemessene Entscheidung“ hält. Bisher waren Abtreibungen in Neuseeland nur aufgrund von Gefährdungen für die psychische und körperliche Gesundheit der Schwangeren legal, dafür musste die Schwangere zwei Ärz­t*in­nen finden, die ihr dies bestätigten.

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Was ist schon normal?

Das weheneinleitende Mittel Cytotec ist in Verruf geraten. Haben der Bayerische Rundfunk und die »Süddeutsche Zeitung« einen Skandal aufgedeckt oder ein nützliches Medikament verunglimpft? In der Jungle World 10/2020

Der Investigativartikel von Eva Achinger und Ann-Kathrin Wetter auf tagesschau.de vom 11. Februar arbeitet schon in den ersten Zeilen mit starken Gegensätzen: Die Schwangerschaft der Protagonistin sei »unbeschwert« gewesen, doch nachdem die Ärzte die Geburt eingeleitet hätten, habe sie »den schlimmsten Tag in ihrem Leben« erlebt. Sie habe sehr heftige, kurz aufeinanderfolgende Wehen bekommen  – einen »Wehensturm«. Ihr Sohn sei mit zu ­wenig Sauerstoff versorgt worden und heute »geistig und körperlich stark ­beeinträchtigt«. Er werde »nie ein selbständiges Leben führen« können.

Schuld an all dem soll das wehenauslösende Medikament sein, über das in der Bundesrepublik seit Wochen diskutiert wird: Cytotec. Die Protagonistin der Investigativrecherche und mehrere andere Frauen haben ihre Ärzte deshalb verklagt. Es sollen auch Frauen und Babys gestorben sein. Der Artikel in der Süddeutschen Zeitung beginnt damit, dass das Herz des Fötus, der Emil heißt, zu schlagen aufhört. Der Bildhintergrund der Website ist schwarz-lila, geschmückt mit der Illustration einer zerbrochenen Tablette, auf der die ­Silhouette eines Fötus zu erkennen ist. Unter den Hashtags »Wehensturm« und »Cytotec« beschreiben zahlreiche Frauen auf Twitter schlimme Geburts­erfahrungen.

Tote oder schwer beeinträchtigte Babys, tote oder schwer traumatisierte Frauen: Wurde hier ein medizinischer Skandal aufgedeckt, wird die Gesundheit von Schwangeren durch nicht ­zugelassene Medikamente gefährdet?

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Die Grenze

Auch Feminist*innen sind sich nicht über jede Abtreibung einig. Im Missy Magazine 02/2020

Weg mit § 218!“ Feminist*innen sind sich einig, dass die Rege-
lung von Schwangerschaftsabbrüchen nichts im Strafgesetz-buch bei den „Straftaten gegen das Leben“ zu suchen hat. Dazu, wie Abtreibungen stattdessen geregelt werden sollen, gibt es aber bisher wenige Vorschläge und kaum Diskussionen. Diese fehlende Konkretisierung trägt zu dem trügerischen Eindruck bei, wir wollten doch alle das Gleiche. Ein Urteil gegen zwei Frauenärzt*innen vom Ende vergangenen Jahres und dessen unterschiedliche Bewertung zeigen jedoch, wie dringend solche Diskussionen geführt werden müssten.

Das Berliner Landgericht verurteilte die Ärzt*innen der Berliner Charité wegen Totschlags, obwohl sie beteuerten, von einer legalen Spaätabtreibung ausgegangen zu sein. Der Fall liegt bereits neun Jahre zurück. Die Frau war mit Zwillingen schwanger, bei einem der beiden war während der Schwangerschaft eine „schwere Hirnschädigung“ festgestellt worden. (Zu Redaktionsschluss lag die verschriftlichte Urteilsbegründung noch nicht vor.) Die Schwangere hatte eine medizinische Indikation zur Abtreibung. Eine solche Indikation kann gestellt werden, wenn die Schwangerschaft das Leben oder die körperliche oder psychische Gesundheit der schwangeren Person gefährdet. Diese wurde jedoch nicht genutzt – nach Angaben der Ärzt*innen, um den „gesunden“ Fötus nicht zu gefährden. Stattdessen wurde die Schwangerschaft nach der Diagnose mehrere Wochen fortgesetzt. Mit dem natürlichen Einsetzen der Wehen leiteten die Ärzt*innen einen Kaiserschnitt ein und holten zuerst das nicht beeinträchtigte Kind aus dem Bauch. Sie verabreichten dem beeinträchtigten Zwilling eine tödliche Spritze und holten ihn dann aus dem Uterus.

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Das zehnte Opfer nicht vergessen

Die Morde von Hanau waren rassistisch, wer auch der Mutter als Mordopfer gedenkt, nimmt den anderen Toten nichts weg.
Ein Kommentar in der Jungle World 10/2020

Der rassistische Terroranschlag von Hanau ist viel zu schnell von den Titelseiten und aus den Schlagzeilen verschwunden. Karneval und Coronavirus waren bald wichtiger als der Versuch, zu verstehen, was am 19. Februar in der hessischen Stadt passiert ist, und der Opfer würdig zu gedenken.

Die Mutter des rechtsextremen Mörders von Hanau war sein letztes Opfer, bevor er sich selbst erschoss. Mittlerweile wird ihr Name, Gabriele Rathjen, häufiger genannt, doch in manchen Aufzählungen der Opfer fehlt sie weiterhin oder wird mit Frau R. abgekürzt.

Die Namen der bisher bekannten Opfer Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unver, Kaloyan Velkov zu nennen, sie zu kennen (und aussprechen zu können) ist wichtig. Den Anschlag als rassistisch zu benennen, ist für die gesellschaftliche Debatte darüber und die politische Reaktion darauf unabdingbar. Allerdings sollte die Betonung der rassistischen Vernichtungsphantasien nicht so weit gehen, dass die anderen menschenfeindlichen Elemente der Täterideologie vernachlässigt werden. Das sozialdarwinistische Motiv der vom Täter unterstellten mangelnden Leistungsfähigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Seiten seines Pamphlets. Ganze »Volksgruppen« verdienten wegen »Leistungsunterschieden zwischen den Rassen« die Vernichtung.

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Die Couchreporter „The Witcher“

In der taz, 13.01.2020, S. 18

Hexer beschützen die Welt der Menschen in einer magischen Welt voller Monster und Fabelwesen – das ist der Hintergrund für die Fantasy-Saga „The Witcher“ um den Hexer Geralt von Riva. Die Netflix-Serie beruht auf dem Werk des polnischen Schriftstellers Andrzej Sapkowski. Die slawische Mythen aufgreifende Story ist unterhaltsam und auch für nicht Expert*innen der Saga verständlich, wenn man einmal verstanden hat, dass nicht linear erzählt wird.

Immer wieder stellt die Serie die Frage, wer oder was als Monster gelten soll, böse ist und somit den Tod verdient. Der Protagonist selbst gilt nicht als Mensch, sondern als „Mutant“ – Hexer erwerben ihre magischen Kräfte und eine extrem hohe Lebenserwartung durch eine künstlich hervorgerufene Mutation in der Kindheit. Daher werden sie in dieser an ein frühes osteuropäisches Mittelalter erinnernden Welt gefürchtet. Ähnlich geht es der wichtigsten weiblichen Nebenfigur, der Magierin Yennefer von Vengerberg, mit der Geralt eine On-off-Affäre führt. Sie stammt von Elfen ab und hat eine sichtbare körperliche Behinderung. Für beides wird sie beschimpft und misshandelt.mehr … Die Couchreporter „The Witcher“

Kinder auf Kosten anderer

Feministisches Netzwerk wendet sich gegen Eizellspende und Leihmutterschaft Neues Deutschland, 09.01.2020

Anmerkung: Die Stellungnahme findet sich hier. Als ich dem ND den Artikel anbot, war ich davon ausgegangen, dass die Unterstützer*innenliste länger würde und deutlicher zwischen Verfasser*innen und Unterstützer*innen unterschieden würde. Beides ist nun nicht der Fall. Durch meinen Nachnamen tauche ich auf der Unterstützer*innenliste nun an erster Stelle auf. Deshalb möchte ich deutlich machen, dass ich nicht zu den Verfasser*innen der Erklärung gehöre.

Unter dem Motto »Für reproduktive Gerechtigkeit!« fordern Wissenschaftlerinnen, Publizistinnen und Journalistinnen, das Verbot von »Eizellspende« und »Leihmutterschaft« aufrechtzuerhalten. An diesem Freitag stellt ein feministisches Netzwerk eine Stellungnahme gegen die Legalisierung dieser reproduktiven Verfahren in Berlin vor.

Angesichts der Vorstöße der Wissenschaftsakademie Leopoldina und der FDP-Bundestagsfraktion zur Legalisierung der Praktiken aus dem vergangenem Jahr zeigen sich die 13 (edit: 8) Initiatorinnen besorgt und wollen eine kritische Debatte anregen. Das Embryonenschutzgesetz von 1990 müsse erhalten bleiben. Die bisherige Begründung für das Verbot, nämlich die Verhinderung einer »gespaltenen Mutterschaft« zwischen genetischer, leiblicher und sozialer Mutter sei allerdings biologistisch. Als politisch und gesellschaftlich sinnvollen Verbotsgrund schlagen die Autorinnen den Schutz der Frauen vor Ausbeutung vor. Sie sollen vor Eingriffen bewahrt werden, die nur Dritten nützen.

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Frauenrechte: „Gleichheit nutzt allen Geschlechtern“

Juristinnen bemängeln die Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention in Deutschland. In der Frankfurter Rundschau vom 20.12.19

Wie sähe das Land aus, wenn tatsächlich Geschlechtergerechtigkeit herrschte? Impulse für die Vorstellungskraft hat die 40. Geburtstagsfeier für das UN-Frauenrechtsabkommen am Mittwochabend in Berlin gesetzt. Zu der Veranstaltung hatten der Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien von Ulrike Lembke und die Kommission Europa- und Völkerrecht des Deutschen Juristinnenbundes (djb) in den prestigeträchtigen Senatssaal der Humboldt-Universität geladen. Der Tenor des Abends: Die Konvention ist gut und wichtig, besser wäre es allerdings, wenn sie auch konsequent angewendet würde und zwar auf allen Ebenen: von der Politik, den Behörden und auch von Gerichten.

Die Frauenrechtskonvention ist bekannter unter ihrem englischen Kürzel CEDAW, die Abkürzung steht für „Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women“. Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau wurde am 18. Dezember 1979 von der UN-Generalversammlung verabschiedet und trat am 9. August 1985 für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft.

Die Konvention hält fest, dass Frauen die gleichen Menschenrechte wie Männer haben und die ratifizierenden Staaten verpflichtet sind, diese auch durchzusetzen. Unzureichender Schutz vor häuslicher Gewalt, Gender-Pay-Gap, ungleiche Verteilung der Sorgearbeit, Ehegattensplitting, der Paragraf 218, Operationen an intergeschlechtlichen Kleinkindern – all das dürfte es nicht geben, wenn die Konvention in Deutschland wirklich umgesetzt würde. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen ist nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch sicherzustellen, dabei soll die Konvention als Instrument dienen.

Eine dafür entscheidende Formulierung ist die Verpflichtung der Staaten zu „wirksamen Maßnahmen“ gegen die diskriminierenden Missstände. Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, hielt in ihrer Rede unter dem Titel „Die UN-Frauenrechtskonvention – Motor für Geschlechtergerechtigkeit in Deutschland“ fest, dass es eben nicht reiche, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen. Wenn freiwillige Selbstverpflichtungen offensichtlich unzureichend seien, müssten halt Quoten her. Die Quotendebatte in Deutschland kranke seit den 1980er Jahren daran, dass CEDAW nicht ernst genommen werde.

Rudolf betonte, dass Diskriminierung ein Machtmittel sei. Diese abzubauen werde also nicht von allen in gleicher Weise begrüßt: „Mittelmäßige Männer ahnen: Geschlechtergleichheit bedroht ihre Privilegien. Kluge Menschen wissen: Geschlechtergleichheit nutzt allen. Denn sie überwindet geschlechtsspezifische Verhaltenserwartungen und führt damit zu mehr Freiheit für alle Menschen.“ Eine diskriminierende Absicht sei nicht erforderlich, weil die Konvention sich gegen jedes Handeln und Unterlassen richtet, das sich benachteiligend auf Frauen auswirke.

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Eingeschränkte Solidarität – Feminismus zwischen Ableism und Intersektionalität

Femina Politica – Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, Heft 2-2019, S. 40-53

Wenn heute Rückschau gehalten wird auf die Auseinandersetzungen über Pränataldiagnostik (PND) und Abtreibung zwischen der Behindertenbewegung und der Frauenbewegung in der Bundesrepublik der 1980er-Jahre, wird oft auf das extrem polarisierende Interview in der Zeitschrift konkret mit AktivistInnen beider Bewegungen verwiesen, das 1989 unter dem Titel „Krüppelschläge“ veröffentlicht wurde (Christoph et al. 1989).1 Meist wird dann von einem zerstörten Verhältnis und unüberbrückbaren Gegensätzen ausgegangen. Diese Bewertung geht von der impliziten Annahme aus, dass sich ganze Bewegungen miteinander solidarisch verhalten müssten. Für realistischer und produktiver halte ich es, Bewegungsströmungen auf ihre Potenziale zu bewegungsübergreifender, intersektionaler Solidarität zu befragen. Dies würde größere Möglichkeiten eröffnen, Bewegungen nicht als monolithisch, sondern als komplex, dynamisch und teilweise widersprüchlich begreifen zu können. Beim Ringen um bewegungsinterne Bedeutungsmacht kann die Ausweitung eines bestehenden Bewegungskonsenses allerdings als Aufkündigung der bisherigen bewegungsinternen Solidarität und somit als Verrat abgewehrt werden.

Im Folgenden werde ich schlaglichtartig die Frage untersuchen, wie Solidarität innerhalb und zwischen verschiedenen Bewegungen funktionieren kann. Dazu werde ich zunächst aus dem mannigfaltigen Gebrauch des Solidaritätsbegriffs eine Konzeptionalisierung entwickeln, die die zwischen Behinderten- und Frauenbewegung relevanten Aspekte von Solidarität begreifbar macht. Die Grundlage der anschließenden Analyse bildet ein Abriss der Bewegungsgeschichte beider Bewegungen. Auf dieser Basis werden im Mittelpunkt meines Beitrags vier Texte analysiert, die zwischen den beiden feministischen Kongressen gegen Reproduktionstechnologien ab Mitte der 1980er-Jahre entstanden sind. Diese eignen sich besonders, um exemplarisch unterschiedliche Herangehensweisen an Solidarität zu illustrieren. Dadurch soll die bisher unterbelichtete Dynamik zwischen verschiedenen randständigen Bewegungsströmungen beleuchtet und mit Blick auf die Möglichkeiten bewegungsübergreifender intersektionaler Solidarität diskutiert werden.

Welche Solidarität?

Der Begriff der Solidarität wird in verschiedenen Disziplinen unterschiedlich verwendet, auch unter Soziolog*innen gibt es keine einheitliche Definition. Dies ist bei lange und in unterschiedlichen Kontexten verwendeten Containerbegriffen nicht ungewöhnlich. Eine umfassende Darstellung der unterschiedlichen soziologischen Konzepte hat Kurt Bayertz (1998) vorgelegt. Er unterscheidet vier Verwendungsweisen des Solidaritätsbegriffs: als allgemeine Brüderlichkeit, als Bindemittel der gesellschaftlichen Einheit, als Begründung für sozialstaatliche Leistungen und als Kampfbegriff sozialer Bewegungen, wobei er nur die beiden letzteren als nachvollziehbare Bedeutungsvarianten gelten lässt (ebd., 49). Solidarität als Kampfbegriff sozialer Bewegungen ist das für meine Untersuchung sinnvollste Konzept. Diese Solidarität zeichnet sich durch „die Bereitschaft eines Individuums oder einer Gruppe (aus), einem anderen Individuum oder einer anderen Gruppe bei der Durchsetzung seiner oder ihrer Rechte zu helfen“ (ebd.). Ähnliche Interessen reichen, Bayertz zufolge, als Motivation nicht aus (ebd., 45), vielmehr braucht es ein gemeinsames Anliegen, ein als gerecht wahrgenommenes Ziel. Welches Ziel einer Gruppe oder Bewegung jedoch als gerecht und dringlich erscheint, ist nicht von vorneherein festgelegt, sondern Resultat von Aushandlungsprozessen. Der Erfolg des Solidaritätsappells hängt dabei von der Bedeutung der thematisierten Werte und Solidaritätsziele in der internen Struktur des Wertesystems der Zielgruppe ab (Baringhorst 1998, 19). Diese Werte dürfen den Interessen der Adressat*innen nicht widersprechen, da sie sonst Abwehr statt Zustimmung auslösen. Die Abwehr eines bewegungsinternen Appells an die Solidarität geht häufig mit dem Vorwurf des Verrats an den eigentlichen Zielen und Werten einer Bewegung einher. mehr … Eingeschränkte Solidarität – Feminismus zwischen Ableism und Intersektionalität

Antifa versus Abgabenordnung

Das Berliner Finanzamt hat der »Vereinigung der Verfolgten des Nazi­regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten« die Gemeinnützigkeit aberkannt. Mehr als 17 000 Menschen haben eine Petition gegen die Entscheidung des Finanzamts unterzeichnet. In der Jungle World 49/2019

Antifaschismus ist nicht gemeinnützig. Das meint zumindest das Berliner ­Finanzamt. Anfang vorigen Monats entzog die Behörde der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten« (VVN-BdA) die Gemeinnützigkeit. Der Verein machte dies am vorvergangenen Freitag öffentlich und erhielt daraufhin zahlreiche Solidaritätsbekundungen.

Dass die 1947 von Überlebenden der Konzentrationslager und anderen NS-Verfolgten gegründete Organisation keine der Allgemeinheit nützlichen Zwecke verfolgen soll, mag unvorstellbar erscheinen. Der Vorwurf, zu links zu sein, um als gemeinnützig gelten zu können, wurde allerdings schon häufiger gegen antifaschistische Vereine er­hoben. Erst Ende Oktober hatte das ­Finanzamt im baden-württembergischen Ludwigsburg dem dortigen ­»Demokratischen Zentrum – Verein für politische und kulturelle Bildung« ­(Demoz) die Gemeinnützigkeit ent­zogen, unter anderem weil Rechtsextreme nicht an Veranstaltungen des ­Zentrums teilnehmen dürfen (Jungle World 47/2019).

Den Status der Gemeinnützigkeit von Vereinen regelt die bundesweit geltende Abgabenordnung (AO), die allgemeine Vorschriften und grundsätzliche Regelungen zum Steuer- und Abgabenrecht enthält. Die AO gewährt gemeinnützigen Vereinen steurliche Privilegien und ermöglicht es, Spenden oder Mitgliedsbeiträge an solche Vereine steuerlich abzusetzen; auch die Zuwendungen mancher Träger sind an die Gemeinnützigkeit gekoppelt.

Gemäß Paragraph 52 der AO verfolgt eine Organisation gemeinnützige Zwecke, »wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern«. Nach Paragraph 51 der AO ist ein Verein zudem nur dann gemeinnützig, wenn seine Tätigkeit nicht verfassungswidrig ist und sich nicht gegen den »Gedanken der Völkerverständigung« richtet. In Absatz 3 des Paragraphen heißt es, »bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extre­mistische Organisation aufgeführt sind«, sei »widerlegbar davon auszugehen«, dass sie diese Voraussetzungen nicht erfüllten.

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