Interview in an.schläge 2017, IV / 2017, Thema
KIRSTEN ACHTELIK übt scharfe Kritik an der Pränataldiagnostik und fordert (Queer-)Feminist_innen dazu auf, die Frage nach Selbstbestimmung neu zu stellen. Interview: KATHARINA PAYK
an.schläge: In Ihrer Auseinandersetzung mit den Rechten von Menschen mit Behinderung positionieren Sie sich immer klar als Feministin. Zugleich üben Sie scharfe Kritik an feministischen Gruppen, die sich für das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch stark gemacht haben, indem sie für die eugenische Indikation plädierten. Die Gruppe „Brot und Rosen“ argumentierte 1974 etwa, dass es für die Bevölkerung ein Vorteil wäre, „dass solchen Schäden (damit ist eine angeborene Behinderung gemeint, Anm.) durch Forschung und Behandlung vorgebeugt wird“. (1)
Kirsten Achtelik: Ich glaube, dass „Brot und Rosen“ damals ausgesprochen haben, was viele gedacht haben. Der Diskurs rund um die Wiedereinführung der sogenannten eugenischen Indikation zeigt, dass es sehr wenig Auseinandersetzung damit gab. Natürlich ist das auch darauf zurückzuführen, dass der Großteil der Frauenbewegung sowieso keine Indikationsregelung haben wollte, sondern den Abtreibungsparagrafen abschaffen wollte – deshalb war für sie die Indikation nur zweitrangig. Aber andererseits fällt auf, dass es zur sozialen Indikation beispielsweise sehr wohl Auseinandersetzung gab. Es gab eine innerfeministische kritische Auseinandersetzung mit dieser sehr wichtigen Gruppe, aber nicht mit den behindertenfeindlichen Aussagen, die weibliche Selbstbestimmung und Leben mit behinderten Kindern gegeneinander stellten. Man kann daraus schließen, dass das eigentlich ein Konsens war in der Szene.
In der Gruppe „Brot und Rosen“ waren auch Aktivistinnen aus der Kinderladenbewegung, die sich dafür einsetzten, mit Kindern studieren, arbeiten und Politik machen zu können. Das heißt, es war ein Diskurs über das Leben mit Kindern – unter bestimmten, „erschwerten“, Umständen – da. Warum also war das Thema Leben mit Kindern mit Behinderung kein Thema? Sowohl Behindertenrechtsbewegung als auch feministische Bewegung sind beide emanzipatorische Bewegungen, die eigentlich die gleichen Ziele haben sollten.
Gibt es heute mehr Überschneidungen zwischen feministischer Bewegung und Behindertenrechtsbewegung, auch in Bezug auf Abtreibung?
In den letzten Jahren nimmt die Diskussion um Behindertenfeindlichkeit und Ableism in der (queer-)feministischen Szene schon zu.
mehr … „Die Idee der absoluten Kontrolle ist total antiemanzipatorisch“