Bodycheck – Kolumne zu Biopolitik und Alltag, in der Jungle World 41/20
Meckern hilft. Der Ende September von der Bundesregierung beschlossene Gesetzentwurf zum Schutz intergeschlechtlicher Kinder vor medizinisch unnötigen Eingriffen enthält einige wichtige Verbesserungen gegenüber dem Entwurf vom Januar. Diesen hatten Selbstvertretungsorganisationen und Fachleute scharf kritisiert, da die Altersuntergrenze für die Einwilligung intergeschlechtlicher Kinder zu Operationen zu niedrig angesetzt war, nämlich auf 14 Jahre. Außerdem war die Aufklärung und Beratung des Kindes und der Eltern durch andere selbst Betroffene nicht vorgeschrieben.
Bei intergeschlechtlichen Menschen stimmen die verschiedenen Geschlechtsmerkmale, also Chromosome, Hormone sowie innere und äußere Genitalien, nicht überein, die Person lässt sich also nicht eindeutig dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht zuordnen. Das galt lange als behandlungsbedürftige Abweichung. Die äußeren Genitalien schon früh operativ zu vereindeutigen, wurde als entlastend für das Kind und die Eltern angesehen. Erst als intergeschlechtliche Menschen sich zusammenfanden und auf die negativen körperlichen und psychischen Folgen dieser invasiven und irreversiblen Eingriffe aufmerksam machten – genannt werden etwa der Verlust von Empfindungsfähigkeit oder ein familiärer Vertrauensverlust durch das Verschweigen der Eingriffe –, änderte sich dieser Standard allmählich. Mittlerweile gelten medizinisch unnötige Operationen als Verletzung des Menschenrechts auf körperliche Autonomie und geschlechtliche Selbstbestimmung. Erst seit Ende 2018 ist es möglich, außer männlich und weiblich auch »divers« als Geschlecht in das Geburtenregister einzutragen. Offen lassen kann man den Eintrag schon länger.
Trotz mehrerer Verschärfungen der ärztlichen Leitlinien sank die Zahl der geschlechtsvereindeutigenden Operationen nicht. Da die Selbstregulierung der Ärzteschaft nicht ausreicht, schien ein Verbot zum Schutz der Kinder notwendig und wurde auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen.
Der neue Gesetzentwurf zum »Schutz von Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« stößt in der Community auf weit weniger Kritik als der erste Entwurf. Er verbietet alle Eingriffe, die nicht für die Gesundheit des Kindes notwendig sind. Das betrifft nicht nur Operationen, sondern auch die Gabe von Hormonen. Beschränkt ist das Gesetz auf nicht einwilligungsfähige Kinder, hierfür ist keine feste Altersgrenze mehr festgelegt. Ausgenommen von dem Verbot sind lediglich medizinisch notwendige Eingriffe, wenn etwa das Urinieren erschwert ist oder es zu Entzündungen kommt. Ob ein solcher Fall vorliegt, soll künftig ein Familiengericht oder eine interdisziplinäre Kommission entscheiden. Dabei soll stets das »Wohl des Kindes« im Vordergrund stehen. Das bedeutet im Sinne der Menschenrechte einen Verzicht auf irreversible Eingriffe bis zu einer selbstbestimmten Entscheidung des Kindes.
Die Zeiten, in denen es als im Interesse des Kindes liegend angesehen wurde, möglichst nicht aus der zweigeschlechtlichen Norm herauszufallen, sind damit zumindest offiziell vorbei. Bis das bei allen Ärzten und Eltern angekommen ist, kann es zwar noch etwas dauern, aber – ständiges lautes Meckern hilft.