Der untenstehende Artikel ist sicherlich kein besonders geschliffenes Juwel, aber darum geht es auch nicht. Ich habe mich entschieden, ihn hier zu veröffentlichen, nachdem die Kommunikation mit den Herausgeber_innen der Schweizerischen geschichts- und gesellschaftpolitischen Plattform „Geschichte der Gegenwart“ völlig gegen die Wand gefahren ist.
Die Macher_innen können das Problem nicht erkennen, das darin liegt, mich um einen nicht näher spezifizierten (unbezahlten) Text zu meinen Themen gebeten zu haben und nun diesen Text nicht veröffentlichen zu wollen, ohne dass ich sehr umfängliche und tiefgreifende Überarbeitungen formaler, inhaltlicher und politscher Art vornehme. Meine Ansage war allerdings schon bei der Anfrage, dass ich eigentlich kaum Zeit habe…
Dies ist daher auch eine Warnung an Kolleg_innen bei Anfragen dieser Plattform genaue Absprachen zu treffen.
Die Forderung nach Selbstbestimmung kann ohne eine ausdifferenzierte Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse nicht verwendet werden, da sie auch neoliberal, unemanzipatorisch oder partikular nur für die eigene Zielgruppe gegen das Befreiungsbedürfnis anderer verwendet werden kann – der feministische Kampf für das Recht auf Abtreibung ist in Teilen ein schlechtes Beispiel dafür.
Das Recht auf Abtreibung ist unter Feministinnen wieder ein Thema geworden – das ist erfreulich. Drohende Gesetzesverschärfungen wie kürzlich in Polen, die Wiedereinsetzung der „Global Gag Rule“ unter Donald Trump, die Nichtregierungsorganisationen, die über Abtreibungen informieren oder unterstützen, von jeglicher Finanzierung ausschließt und von Abtreibungsgegner_innen veranstaltete „Märsche für das Leben“ erregen wieder öffentliche Aufmerksamkeit, Empörung und Protest. Diesen Entwicklungen gilt es sich entgegenzustellen. In dieser Situation ist es aber auch wichtig, die Beschränkungen der vergangenen feministischen Bewegungswellen zu diskutieren und zu vermeiden.
In den 1970er Jahren ging es Feministinnen in ganz Europa zentral um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Ein Recht darauf konnte fast nirgendwo durchgesetzt werden, die Möglichkeiten zur Abtreibung wurden jedoch enorm verbessert. Die weitere Perspektive dieser Kämpfe war, über den eigenen Körper und das eigene Leben selbst bestimmen zu können. Der Slogan „Mein Bauch gehört mir“ kondensierte diese Forderung nach Selbstbestimmung. Der Begriff der Selbstbestimmung wurde als Ausdruck einer breiten und radikalen gemeinsamen Suche nach kollektiven Formen widerständigem weiblichen Lebens verstanden. Dass der Begriff ein derartige Wende zu einer heute verbreiteten Fokussierung auf individualistische Bedürfnisbefriedigung in schlechten Verhältnissen nehmen würde, war nicht abzusehen. Dennoch bot das zentrale feministische Selbstbild als autonomes, selbstbestimmtes Subjekt, das selbstdiszipliniert und -kontrolliert „frei“ und gesellschaftlich funktionstüchtig ist, Ansatzpunkte für eine Neoliberale Vereinnahmung und ließ mit Behinderung assoziierte Eigenschaften wie Verletzlichkeit, Schwäche und Kontrollverlust als bedrohlich erscheinen. Die heute als gesellschaftliche Anforderung und individuelle Willensentscheidung betriebene Optimierung des eigenen Lebens lässt den neoliberalen Gesellschaftsumbau unhinterfragt. Die Individualisierung der Verantwortlichkeiten lenkt die Suche nach Lösungen weg von gesellschaftlichen Bedingungen hin zu persönlichen Risikofaktoren, die man mit Lebensstilentscheidungen hofft beeinflussen zu können. Eigenverantwortung und Selbstbestimmung können als auf das Leben gerichtete Machttechnologien begriffen und analysiert werden, die Befreiung nicht mehr antagonistisch, gegen Patriarchat und Kapital, sondern systemmodernisierend organisieren.
Vor allem in Deutschland wurde in den 1980er Jahren der große vereinende Slogan des Rechts auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper „Mein Bauch gehört mir“ einer Revision unterzogen: Verschiedene Ebenen der Kritik an Bevölkerungspolitik, Machbarkeitsphantasien, Selektion und Ausbeutung wurden unter Feministinnen breit diskutiert, die beiden großen Konferenzen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien (1985 in Bonn; 1988 in Frankfurt) wurden von jeweils 2.000 Frauen/Lesben besucht. Dort wurde vor allem von Aktivistinnen mit Behinderung kritisiert, dass die pränatale Suche nach Abweichungen umstandslos unter ein „Recht auf Selbstbestimmung“ subsummiert und die potentielle Behindertenfeindlichkeit von humangenetischer Beratung und flächendeckender selektiver Pränataldiagnostik nicht erkannt wurde. Für Feministinnen mit Behinderung war Pränataldiagnostik nicht eine Erweiterung der Entscheidungsmöglichkeiten einer Frau*, sondern viel mehr eine Ausweitung des Normalitätsgebots.
Heutige Regelungen
Eine Schwangere, die nicht schwanger sein will und kein Kind bekommen will, kann heutzutage in Deutschland in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen zwar straffrei abtreiben. Vor der 1995 erfolgten letzten Reform des Paragraphen 218 im Strafgesetzbuch stellte das Bundesverfassungsgericht allerdings eine „grundsätzliche Pflicht zum Austragen des Kindes“ fest. Daraus resultieren viele Probleme, wie die Pflichtberatung und die erzwungene Wartezeit. Die Krankenkasse darf den Eingriff nicht bezahlen, jede_r Ärztin kann die Teilnahme jederzeit verweigern, es handelt sich schließlich um eine Handlung, die nicht legal ist, sondern nur straffrei gestellt wurde. Die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch ist auch in der Schweiz im Strafgesetzbuch geregelt (Artikel 118–120), er ist prinzipiell strafbar. Bis zur 12. Schwangerschaftswoche ist er straffrei gestellt, wenn die Frau* nach einem Beratungsgespräch schriftlich eine Notlage geltend macht. Auch nach der 12. Woche ist eine Abtreibung möglich, wenn sie nach ärztlichem Urteil nötig ist, um eine schwerwiegende Gefährdung der körperlichen oder seelischen Gesundheit der Frau* abzuwenden.
Der Abbruch einer Schwangerschaft sollte aber nicht als Tötungsdelikt gewertet werden, so dass eine Streichung des §218 respektive der Artikel 118-120 aus dem Strafgesetzbuch und eine zivilrechtliche Regelung der dann offenen Fragen wünschenswert wäre. Es ist sehr erfreulich, dass die Forderung in letzter Zeit auch von jüngeren Feministinnen verstärkt wieder aufgenommen wird. Was jedoch fehlt, sind Diskussionen über mögliche Strategien um diese Streichung aus dem Strafgesetzbuch und die Abschaffung der Beratungspflicht politisch durchzusetzen, genauso wie konkretere Überlegungen, wie dieser Komplex stattdessen zu regeln wäre.
Ein ganz anderes Thema als die Beratungsregelung bis zur 12. Woche ist die medizinische Indikation. 1995 wurde die so genannte embryopathische Indikation wegen der Intervention von Behindertenverbänden und Kirchen gestrichen. Seitdem kann nicht mehr die erwartete Schwere einer fötalen Behinderung die Begründung für den Abbruch der Schwangerschaft sein, sondern die Annahme der_s Ärzt_in einer Gefährdung der psychischen Gesundheit der Frau (durch die Behinderungsdiagnose), die medizinische Indikation. Das ist in der Schweiz ähnlich geregelt.
Pränatale Diagnostik
Wie „selbstbestimmt“ waren aber die Entscheidungen, die die Schwangere überhaupt in diese Situation gebracht haben, ihre eigentlich gewollte Schwangerschaft wieder in Frage zu stellen? Schwangere werden heutzutage durch das Angebot zu einem vermeintlichen Wissen über das werdende Kind in eine pränatale Diagnosespirale hineingezogen; das Angebot an Untersuchungen dient vermeintlich dem Wohl des späteren Kindes und wird nur von wenigen Schwangeren, Hebammen und Ärzt_innen hinterfragt. Alle pränatalen Untersuchungen durchgeführt zu haben, gilt als verantwortungsvoll; gemeint ist die Verantwortung, dem zukünftigen Kind optimale Startchancen bieten zu müssen. Vermehrte Angebote steigern auch den Druck auf die werdende Mutter, alles richtig zu machen und rufen Schuldgefühle hervor. Frauen* erhoffen sich von den pränatalen Untersuchungen die Bestätigung, dass das Kind nach der Geburt gesund sein wird, dass „alles in Ordnung“ ist – eine Sicherheit, die die Untersuchungen gar nicht liefern können. Die ärztlichen Fragen sind nämlich ganz andere: Was ist nicht in Ordnung? Gibt es Auffälligkeiten oder Abweichungen von festgelegten Wachstumsparametern? Wenn es Hinweise auf eine Behinderung gibt, motiviert dies zu weiteren, invasiven Untersuchungsmethoden. Allerdings schließt sich einer ärztlichen Diagnose normalerweise ein Behandlungsvorschlag an. Eine pränatale Therapie des Fötus ist aber nur in äußerst seltenen Fällen möglich. Die Diagnose einer Behinderung führt daher in der Logik der pränatalen Untersuchungen meist zu der Frage, ob man das werdende Kind, für das man eben noch alles getan hat, nun unter den neuen Umständen überhaupt noch bekommen will.
Die neuen, nicht invasiven Pränataltests (NIPT) versprechen, mit aus dem Blut der Schwangeren gewonnener DNA des Fötus die Wahrscheinlichkeit einer Trisomie 21, 18 oder 13, das Geschlecht sowie „Abweichung“ der Geschlechterchromosome wie das Turner- und Klinefeltersyndrom bestimmen zu können. Wie so oft wird angeboten, was technisch möglich ist. Viele Schwangere wiederum schließen allein aus dem Vorhandensein des Angebots, dass die Information für sie relevant ist. Zurzeit sind die Tests Selbstzahler-Leistungen, in Deutschland prüft seit August 2016 der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Krankenkassen und Ärzt_innen, ob die Tests auf Trisomien regelhaft von den Krankenkassen übernommen werden sollen. In der Schweiz wird, anders als in Deutschland, der Ersttrimestertest mit Nackenfaltenmessung zur Risikoeinschätzung u.a. von Trisomien von den Krankenkassen übernommen. Als Zweitscreening wurde Mitte Juli 2015 der nichtinvasive Bluttest auf die Trisomien 13, 18 und 21 probeweise eingeführt. Der Risikogrenzwert wurde dabei auf den sehr niedrigen Wert von 1:1000 gesenkt, das neue Angebot kann also von relativ vielen Schwangeren* in Anspruch genommen werden. Die Maßnahme ist vorerst bis zum 30. Juni 2017 befristet und soll dann evaluiert werden.
Selektive Pränataldiagnostik (PND) wie der NIPT verbessert weder die Versorgung der Schwangeren noch des werdenden Kindes. Die pränatale Fahndung nach Abweichungen stellt diese als tendenziell vermeidenswert dar und ist deshalb eine schädliche Praxis im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Der deutsche Inklusionsbeirat hat 2013 in dem Positionspapier „Bioethik – Menschen mit Behinderung – UN-BRK“ festgestellt, dass selektive Pränataldiagnostik gegen die Grundlagen der UN-BRK verstößt, da durch ihre verbreitete Anwendung „Menschen mit Behinderung negativen gesellschaftlichen Bewertungsmustern ausgesetzt sind“. Die in PND angelegte Verknüpfung von Behinderung mit Leiden und Schmerzen und das Versprechen ihrer Vermeidbarkeit qua Vermeidung behinderter Kinder ist zutiefst behindertenfeindlich.
Die gesellschaftliche Bereitstellung von Ressourcen für die gezielte Suche nach Abweichungen zeigt, dass behindertenfeindliche Denkweisen als normal und unproblematisch gelten. Die Tatsache, dass diese Tests angeboten werden und via Mutterpass institutionalisiert sind, lässt es als verantwortungsvolles Verhalten erscheinen, sie auch in Anspruch zu nehmen. Da es als normal gilt, sich abzusichern, besteht offensichtlich Grund zur Beunruhigung. Behinderung als nicht normal, sondern als beunruhigend zu empfinden, wird auf diese Weise immer wieder betont.
Rechte Abtreibungsgegner_innen setzen zunehmend auf bioethische Themen wie pränatale Diagnostik, selektive Abbrüche und Sterbehilfe. Sie inszenieren sich als die einzigen glaubhaften Vertreter_innen der Interessen behinderter Menschen. Die Berufung auf Selbstbestimmung allein kann der Instrumentalisierung bioethischer Diskussionen von rechts nichts entgegensetzen.
Heute lohnt sich deshalb, an die feministischen Diskussionen der 1980er Jahre anzuknüpfen. Eine damals bereits formulierte feministische Kritik lautete: Die Selbstbestimmung von Frauen*, die in den schlechten Verhältnissen eine möglichst hohe individuelle Bedürfnisbefriedigung erreichen will, kann nicht das emanzipatorische Ziel sein. Entscheidungen von Frauen* können systemkonform und -erhaltend sein und anderen gesellschaftlich marginalisierten Gruppen schaden – wie die Entscheidungen wie von allen andern Menschen auch. Vielmehr muss ein linker, intersektionaler (Queer)Feminismus gesellschaftliche internalisierte Machtverhältnisse, die Menschen in ihren Entscheidungen beeinflussen, kritisch hinterfragen und mit anderen Bewegungen zusammen ein gutes Leben für alle erkämpfen.