Interview in der Behindertenbeilage der Jungen Welt 28.06.17
Feministische und Behindertenbewegung müssen verstärkt zusammenarbeiten. Interview: Charlie Kaufhold
Im Februar haben 20 Organisationen eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie sich gegen die sogenannten Praena-Tests aussprechen. Worum geht es dabei?
Seit August 2016 prüft der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Krankenkassen, der Krankenkassenbetreiber und der Ärzteschaft, ob der nichtinvasive pränatale Bluttest in die Regelversorgung der Krankenkassen aufgenommen wird. Mit dem Test kann festgestellt werden, ob bei einem Fötus eine Wahrscheinlichkeit für Trisomie 13, 18 oder 21 vorliegt. In der Stellungnahme wird gefordert, dass dieses Verfahren gestoppt wird.
Was kritisieren Sie an dem Vorhaben, den Test in die Regelversorgung aufzunehmen?
Meiner Meinung nach verstößt das Verfahren gegen die UN-Behindertenrechtskonvention. Darin steht, dass Maßnahmen gegen »schädliche Praktiken« ergriffen werden müssen. Das Angebot des »Praena-Tests« ist eine solche schädliche Praxis, weil es nahelegt, dass die Geburt eines Kindes mit Behinderung nicht den gleichen Wert hat wie die Geburt eines nichtbehinderten Kindes. Eine kassenfinanzierte »Fahndung« nach Trisomien hebt diese als besonders vermeidenswert hervor. Außerdem ist der Prüfvorgang problematisch: Der G-BA prüft nur – wie bei Medikamenten auch –, ob der Test wirksam und zuverlässig ist. Für eine ethische Prüfung hat das Gremium kein Mandat.
Schon jetzt gibt es Untersuchungen, mit denen Föten auf mögliche Beeinträchtigungen getestet werden. Was ist das Besondere an dem »Praena-Test«?
Es gibt pränatale Untersuchungen, die medizinisch sinnvoll sind für die werdende Mutter oder das werdende Kind. Beispielsweise können mit Ultraschall Herzfehler festgestellt werden, die bei der Vorbereitung der Geburt zu berücksichtigen sind. Ultraschall kann aber auch dazu genutzt werden, nach Behinderungen zu suchen. Der Bluttest funktioniert nur so: Er ist ausschließlich selektiv. Er hat einzig und allein zum Ziel, nach unerwünschten Abweichungen zu suchen, er hat keinen medizinischen Vorteil.
Wie häufig kommt es dazu, dass Schwangerschaften nach einer pränatalen Diagnose abgebrochen werden?
In Deutschland wurde 1995 die sogenannte embryopathische Indikation abgeschafft. Schwangerschaften dürfen seitdem nicht mehr wegen einer fötalen Behinderung abgebrochen werden. Möglich ist das über einen Umweg aber trotzdem: Im Rahmen der medizinischen Indikation kann ein Schwangerschaftsabbruch mit Verweis auf die Gesundheit der schwangeren Person durchgeführt werden. Deswegen gibt es für Deutschland keine Statistik, wie viele Schwangerschaften das betrifft. Aus anderen Ländern, in denen es noch die embryopathische Indikation gibt, wissen wir, dass etwa 90 Prozent der Schwangerschaften nach der Prognose einer Trisomie abgebrochen werden. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das in Deutschland zahlenmäßig anders ist.
In Ihrem Buch »Selbstbestimmte Norm« schreiben Sie nicht nur über die Probleme der Pränataldiagnostik (PND), sondern sprechen sich auch für die vollständige Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aus. Wie vereinbaren Sie das?
Klar ist, dass keiner Person vorgeschrieben werden darf, was sie mit ihrem Körper macht. Deswegen bin ich als Feministin für die Abschaffung des Paragraphen 218, der bis heute Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Etwas anderes ist es aber, wenn sich eine Person bereits dafür entschieden hat, ein Kind haben zu wollen. Erst dann finden die pränatalen Untersuchungen ja statt. Die Behindertenfeindlichkeit der PND ist nicht durch die Einschränkung von Schwangerschaftsabbrüchen zu beheben. Das Problem ist, dass Behinderung mit Leid verknüpft wird. Diese Verknüpfung müssen wir auflösen. Behinderung ist eine Eigenschaft wie andere auch: Sie kann mit Leid verknüpft sein, das muss aber nicht zwingend der Fall sein. Darüber brauchen wir eine gesellschaftliche Diskussion. Um die zu erreichen, müssen wir verschiedene Bewegungen stärker miteinander verbinden.
Wie wäre das möglich?
Ein Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit ist die genannte Stellungnahme gegen den Bluttest, die von feministischen und behindertenpolitischen Organisationen unterstützt wird. Es gibt unterschiedliche Anforderungen an die Bewegungen. Queere und feministische Bewegungen dürfen die Perspektiven verschiedener Gruppen nicht nur theoretisch diskutieren, sondern müssen auch tatsächlich Kämpfe miteinander verbinden. Eine Chance dazu haben sie letztes Jahr verpasst: Mit den Protesten gegen das sogenannte Bundesteilhabegesetz ist die »Behindertenbewegung 2.0« entstanden. Die Petitionen und Demonstrationen hätten feministische Unterstützung gut brauchen können. Für die Behindertenbewegung ist es wichtig, sich nicht von christlich-fundamentalistischen Abtreibungsgegnern – sogenannten Lebensschützern – ködern zu lassen.
Manche Feministinnen werfen Ihnen vor, sich mit Ihren Argumenten den »Lebensschützern« anzunähern. In diesem Sinne kritisiert Sie etwa Rosemarie Nünning im Magazin Marx 21. Nünning ist im Berliner »Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung« gegen den christlich-fundamentalistischen »Marsch für das Leben« in der Hauptstadt aktiv.
Meine Abgrenzung von den »Lebensschützern« ist radikal und vollständig, und ich bin Teil der feministischen Bewegung, die gegen die »Märsche« mobilisiert. Nünning gibt meine Argumente leider verzerrt wieder. In einem hat sie allerdings recht: Anders als das »Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung« will ich feministische Diskussionen darüber anstoßen, was wir unter emanzipatorischer Selbstbestimmung verstehen. Nünnings Vorwurf soll meine innerfeministische Kritik am Umgang mit PND und Behindertenfeindlichkeit abwehren, statt sich – gern auch kritisch – mit meinen Thesen auseinanderzusetzen.
Am 15. Juli findet in Berlin die »Pride Parade – behindert und verrückt feiern« statt. Werden Sie sich daran beteiligen?
Ja, auf jeden Fall. Die Pride Parade habe ich in den ersten zwei Jahren mitorganisiert und sehe sie als eine gelungene Verbindung verschiedener Kämpfe: Behinderung, »Verrücktheit« und feministische Themen werden dort verknüpft. Auch der Bluttest ist regelmäßig Thema. Im vorigen Jahr war die Demonstration am selben Tag wie der »Marsch für das Leben«, so dass Leute zuerst protestieren und später auf der Parade feiern konnten – und dem »Marsch« etwas Positives entgegensetzen.