Vertreter von Menschen mit Behinderungen drängen auf besonderen Schutz, aber auch auf Ausnahmeregelungen in nd vom 11.02.2022
Trotz allem Hin und Her der letzten Tage: Die Impfpflicht für den medizinischen und pflegerischen Bereich kommt. Ab dem 15. März müssen Menschen geimpft oder genesen sein, die als Pfleger*innen, Ärzt*innen oder als Assistenz für Menschen mit Behinderung arbeiten. Damit sollen besonders vulnerable Gruppen geschützt werden und gesundheitlich gefährdete Menschen, die sich nicht aussuchen können, mit wem sie Kontakt haben.
Je näher das Datum rückt, desto deutlicher werden die Sorgen, die eine solche Impfpflicht auslöst. Viele Probleme, wie die personelle Unterversorgung in Pflege- und Assistenzberufen werden dadurch sichtbarer. Gerade Menschen mit Behinderung, die ihren Bedarf nach Unterstützung mit selbstorganisierter Assistenz decken, haben Angst, dringend benötigte Mitarbeitende deswegen entlassen zu müssen. Einzelne haben diese Sorgen so zugespitzt, dass sie wegen der Impfpflicht ihr selbstbestimmtes Leben aufgeben und in ein Heim ziehen müssten. Manche Betroffene sehen dadurch ihre Selbstbestimmung gefährdet. Das Zentrum selbstbestimmt Leben (ZSL) Stuttgart hatte daher Ende Januar ein Online-Gespräch zu den Herausforderungen der Impfpflicht von Assistenzkräften organisiert, an dem 80 Menschen, hauptsächlich mit Behinderung, teilgenommen haben.
Persönliche Assistenz soll selbstbestimmteres Leben ermöglichen
Mit dem Arbeitgebermodell können Menschen mit Behinderung ihre Assistent*innen selbst einstellen, die persönliche Assistenz soll ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen. Die Löhne werden meist aus einer Mischkalkulation von Bezügen durch Krankenkassen, Pflegekassen und Sozialämter bezahlt. Die Verwaltung der Gelder und die Organisation der Arbeitszeiten entspricht allerdings einem kleinen Betrieb, so dass das Modell nicht für alle Menschen mit Behinderung ideal ist. In Deutschland gibt es etwa 3000 behinderte Arbeitgeber*innen. In den größeren Städten übernehmen zudem Betriebe die Verwaltung und folgen den Prinzipien der persönlichen Assistenz, zum Beispiel die Ambulanten Dienste in Berlin oder die Assistenzgenossenschaft Bremen. Horst Frehe, Vorstandsvorsitzender der Bremer Assistenzgenossenschaft und aktiv beim Forum behinderter Juristinnen und Juristen, war auf die Veranstaltung des ZSL Stuttgart eingeladen, um rechtliche Fragen der bevorstehenden Impfpflicht zu beleuchten. Frehe spricht sich gegenüber »nd – Die Woche« sehr deutlich für die Impfpflicht im medizinischen und pflegerischen Bereich aus. Schließlich seien in den Einrichtungen Menschen an Covid gestorben, die sich bei Mitarbeiter*innen angesteckt hätten. Dass sich Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, nicht impfen lassen wollen, dürfe »keine Leben kosten«. Die besondere Situation von behinderten Arbeitgeber*innen und das prekäre Arbeitgebermodell benötige allerdings Ausnahmeregeln, Hygienekonzepte und ein Ausnutzen des Ermessensspielraums der zuständigen Gesundheitsämter.
Wenn ein*e Arbeitnehmer*in nicht geimpft ist, muss diese*r ab dem 15. März dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Das Amt kann nach Prüfung des Falls ein Betretungsverbot verhängen.
Assistenznehmer*innen erstmals mitgedacht
Der stellvertretende Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit, Constantin Grosch, hat sich auf Twitter deutlich gegen die Kritik an der Impfplicht ausgesprochen und gewarnt: »Das wird uns in Zukunft schmerzhaft auf die Füße fallen.« Der Rollstuhlnutzer versteht die Sorgen hinter der Kritik an der Impfpflicht, weist im Gespräch mit »nd.DieWoche« aber darauf hin, dass im Gesetz zur Impfpflicht Assistenznehmer*innen zum ersten Mal in der Pandemie explizit mitgedacht würden: »Wir haben seit Beginn der Pandemie darum gekämpft, dass unsere spezielle Situation von der Politik mitgedacht wird. Menschen mit Behinderungen wurden aber immer nur als Heimbewohner betrachtet und nicht als in ihren eigenen Wohnungen lebende Arbeitgeber. Bei der Priorisierung der Impfungen, bei kostenlosen Masken für Beschäftigte im Gesundheitswesen, beim Coronabonus – immer wurden wir vergessen.«
Auch Grosch findet, dass die Gesundheitsämter Spielräume nutzen müssten, um die Versorgung der Betroffenen nicht zu gefährden. Bisher aber hätten Assistenznehmer*innen zu wenig Möglichkeiten gehabt, sich gegen die »Ideologie des Nichtimpfens« ihrer Angestellten zu wehren.