Wer sich nach einer Brustamputation gegen einen Wiederaufbau entscheidet, steht unter Rechtfertigungsdruck. Das erlebte auch unsere Autorin. In der taz vom 25.11. 2021
Wenn dieser Text erscheint, ist meine linke Brust Geschichte – oder vielmehr pathologischer Abfall. Vor der Amputation hat sie mir ein paar Monate lang das Leben schwergemacht – oder eher ihr Inhalt: ein bösartiger, aggressiver, schnell wachsender Tumor, der die Brust, als er endlich diagnostiziert wurde, bereits um etwa ein Drittel vergrößert hatte.
Die Möglichkeit, nach der Chemotherapie brusterhaltend zu operieren, gab es wegen der Größe des Tumors nicht. Ein Wiederaufbau kam für mich nicht in Frage, mir war recht schnell klar, dass ich dann links halt flach sein würde. Für meine Chirurgin war meine Entscheidung kein Problem.
Wie bei meiner Abtreibung vor mehr als 20 Jahren musste ich nicht lange überlegen, mich ausführlichst informieren oder schwer mit mir ringen. Damals wollte ich nicht schwanger sein und kein Kind, also war der Abbruch der Schwangerschaft die naheliegende Entscheidung. Diese hatte ich schon getroffen, bevor der Schwangerschaftstest die zwei Linien zeigte.
Alle Artikel, Psycholog*innen, Ärzt*innen und Patient*innen betonen unermüdlich, dass der Umgang mit der betroffenen Brust eine höchstpersönliche, schwere Entscheidung sei, die jede Betroffene mit sich selbst ausmachen müsse – die Betonung der schweren, individuellen Entscheidungen erinnert mich an den Diskurs über ungewollte Schwangerschaften. Wenn der Weg, der hierbei für die Betroffenen am besten ist, der Abbruch ist, muss zumindest gelitten und mit sich gerungen worden sein – eine leichte Entscheidung scheint nicht möglich und wirkt beinahe unethisch. Und wie zur Frau der Kinderwunsch gehören eben auch die Brüste dazu, eine Entscheidung dagegen steht häufig unter Rechtfertigungsdruck.
Funktion oder Optik
Bei meinen Brüsten ist mir die Funktion wichtig, die Optik dagegen recht egal. Über einen Wiederaufbau habe ich deswegen nicht viel nachgedacht: Wenn die Empfindungsfähigkeit weg ist, habe ich nicht viel Verwendung für diese Ausbuchtung am Oberkörper. Ich fühle mich nicht sonderlich „weiblich“ und hatte weder bei den durch die Chemotherapie ausgefallenen Haaren, noch bei der anstehenden Brustoperation Angst, dadurch diese ominöse Weiblichkeit einzubüßen.
Aber. In allen Fachartikeln. Bei allen Gesprächen im Chemoraum. In allen Broschüren. Geht es immer um Wiederaufbau, Wiederaufbau, Wiederaufbau – also um das Wie, nicht um das Ob. Für den medizinischen Betrieb rund um Brustkrebs und für viele Mitpatient*innen ist der scheinbar drohende Verlust der Weiblichkeit das große Ding.
Etwa 30 Prozent aller etwa 75.000 pro Jahr in Deutschland neu erkrankten Brustkrebspatient*innen können aus medizinischen Gründen nicht brusterhaltend operiert werden. Es gibt keine verlässlichen Zahlen dazu, wie viele von ihnen sich für einen Wiederaufbau, für das Tragen von Epithesen oder dafür entscheiden, flach zu bleiben. In keinem der Fachartikel, die ich gelesen habe, wird die Möglichkeit, die betroffene Brust einfach ab zu lassen, auch nur erwähnt. Es geht immer nur um die Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden des Aufbaus, mit Silikon oder körpereigenem Gewebe (Muskeln, Haut, Fett).
Beim Vorgespräch zur OP wird mir versichert, dass ein*e Mitarbeiter*in aus dem Sanitätshaus ins Krankenhaus käme, um eine Epithese, also eine Brust aus Kunststoff, die an den Oberkörper angeklebt oder in den BH eingelegt wird, und den dazugehörigen BH anzupassen. Zwar ist klar, dass ich keinen Wiederaufbau per OP möchte, einseitig flach rumlaufen zu wollen, erscheint dann doch zu ungewöhnlich – außerdem zahlt das ja die Krankenkasse. Und tatsächlich tun ja die meisten Betroffenen ihr Möglichstes, damit sich zumindest äußerlich nichts verändert durch die Erkrankung und ihre Behandlung.
Schonendste Option
Da wird die Rede von der höchstpersönlichen Entscheidung zur Floskel: Wenn eine Mitpatientin im Chemoraum energisch für den Wiederaufbau argumentiert und nicht nur für sich selbst postuliert, dass sie „so normal wie möglich“ aussehen wolle, sondern auch, dass sie Frauen mit nur einer Brust „abstoßend“ finde, und niemand das problematisiert, auch die anwesende Psychoonkologin nicht. Wenn eine – die schonendste – Option nie erwähnt wird, existiert sie als Möglichkeit für die meisten Betroffenen, die sich nicht selbst auch auf ungewöhnlichen Wegen nach Informationen suchen, praktisch gar nicht.
Wenn einer Betroffenen, die sich gegen einen Wiederaufbau entscheidet, zu einem psychologischen Gespräch geraten wird, der Betroffenen, die einen haben möchte, aber nicht. Wenn eine in einer einschlägigen Facebook-Gruppe ausführliche nach ihren Gründen gefragt wird, wenn sie ankündigt, flach bleiben zu wollen, aber niemand so etwas beim Aufbau gefragt wird. Wenn es schon so einen Appell an die Betroffenen gibt, sich das sehr gründlich zu überlegen, dann sollten sie doch über alle Optionen nachdenken können.
Der Verein Ablatio mammae – Selbstbewusst ohne Brust e. V. (amsob) hat sich im September 2019 gegründet, um Brustlosigkeit als gleichwertige Alternative bekannter zu machen. Julia Thomas, die Vorsitzende des Vereins, kritisiert im Gespräch mit der taz, dass die flache Brust oft nicht als gleichwertige Option betrachtet würde und nicht aktiv darüber informiert würde.
Der Verein wolle Frauen bei dieser Entscheidung unterstützen, wenn es ihnen anderswo schwer gemacht würde. Sie erwarte nicht von jeder Frau, „kämpferisch zu sein und sich mit allen Normen auseinanderzusetzen“. In der Kommunikation mit Ärzt*innen könne man da so einiges bewegen. Diese seien teilweise sogar erfreut über die Initiative, weil sie sich bisher nicht getraut hätten, das ihren Patient*innen vorzuschlagen, erzählt Thomas.
Auch in der Broschüre der Frauenselbsthilfe Krebs „Brustamputation – Wie geht es weiter?“, die die seit 45 Jahren existierenden Selbsthilfeorganisation in diesem Jahr neu aufgelegt hat, gibt es nur die beiden Möglichkeiten: Wiederaufbau oder Epithesen. Ich frage die Pressesprecherin Caroline Mohr, warum sie die Möglichkeit, flach zu bleiben, nicht erwähnen. Sie erklärt, dass die Option flach zu bleiben, nur für Frauen mit kleinen Brüsten infrage komme. Für alle anderen sei es „orthopädisch wichtig“, dass das Gegengewicht erhalten bleibe.
Die paar hundert Gramm
Habe ich so sehr kleine Brüste? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die paar hundert Gramm so einen krassen Unterschied machen. Verspannt bin ich eh schon, und wer hat keine Rückenschmerzen? Außerdem: Warum bezahlen die Krankenkassen hier keine Angleichung? Eine solche wird ja nach einem einseitigen Wiederaufbau problemlos übernommen, wenn die Brüste zu unterschiedlich sind. Eine beidseitige Amputation wird aber eigentlich nur gemacht, wenn die betroffene Person das BRCA-Gen hat, das als Krebsrisiko erhöhend gilt. Bei allen anderen werden solche Anträge häufig abgelehnt, eine „gesunde“ Brust abzunehmen, gilt als fast schon unethisch, das macht man einfach nicht. Warum es aber kein Problem zu sein scheint, für einen Wiederaufbau gesunde Muskeln zu Brüsten umzubauen, kann mir niemand erklären, schließlich hat ein gesunder Muskel im Unterschied zu einer gesunden Brust sogar eine Funktion.
Die Betroffene Anna Belle Jöns lerne ich über Instagram kennen. Sie hat ihre Krankenkasse überzeugen können, die Amputation der verbliebenen Brust zu bezahlen. Mit der Begründung hat sie sich viel Mühe gegeben, ihr Onkologe hat den Antrag unterstützt. Als sie mit 36 ihre Brustkrebsdiagnose erhielt, waren trans Personen im Freundeskreis wichtig, um sich gegen einen Aufbau entscheiden zu können, und Frauen, die sich auf Instagram über #goingflat austauschten.
Jöns kritisiert, dass man immer noch hauptsächlich von anderen Betroffenen über die Möglichkeit höre, aber kaum von Ärzt*innen. Mit ihrer Epithese habe sie sich nie so richtig anfreunden können, sich aber auch kaum getraut, ohne auf die Straße zu gehen. Als eine Bekannte nach Brustkrebs- und BRCA-Diagnose beidseitig flach wurde, war das für Jöns, nun mit 42, der Ansporn, den Antrag auf abbauende Angleichung trotz ihrer Angst vor einer langwierigen Auseinandersetzung mit der Krankenkasse zu stellen. Sie wünscht sich, dass auch für Betroffene, die sich gegen einen Wiederaufbau entscheiden, gelten möge, was für Frauen mit zwei Brüsten anscheinend selbstverständlich ist: ein Recht auf Symmetrie und sich im eigenen Körper wohlfühlen zu können.
Ich glaube, mich in meinem bald asymmetrischen Körper wohlfühlen zu können, schließlich trage ich auch meine langen Ohrringe nur auf einer Seite und die Frisur war vor dem Haarausfall asymmetrisch. Vor der OP haben die Freund*innen mehr Angst als ich, bei mir überwiegt die Neugier auf den anderen Körper.