Die internationalistische Queer Pride versammelte Antisemiten und Feierwütige. Die queere BDS-Szene verbucht die Demonstration als Geländegewinn. In der Jungle World 30/21
Die internationalistische Queer Pride, die in Berlin am Samstag von Neukölln nach Kreuzberg zog, sollte die Alternative sein zum großen CSD, eine unkommerzielle, radikale und intersektionale Veranstaltung. Bei näherer Betrachtung erwies sich die Demonstration allerdings eher als queere BDS-Veranstaltung denn als antikapitalistische Pride.
Aufgerufen hatte das Bündnis Queers Against Racism and Colonialism (Quarc). Einige der darin zusammengekommenen Gruppen sind einschlägig für ihre eigenwillige Interpretation von Antisemitismus bekannt, wie Berlin Against Pinkwashing oder der BDS Berlin. Palestine Speaks, Bloque Latinoamericano Berlin und der neu gegründete Jewish Bund Berlin waren zuletzt im Zusammenhang mit der vermeintlich migrantischen Neuausrichtung der revolutionären 1. Mai-Demonstration aufgefallen, die antisemitischen Parolen im ersten Block Raum gab.
Nun also der CSD. Nachdem ein explizit nicht eingeladener BDS-Block 2019 zum Abbruch eines alternativen CSD geführt hatte, rief die entsprechende Szene in diesem Jahr zu ihrer eigenen Demonstration auf. Schon der Aufruf wirkte wie eine modernisierte Variante alter antiimperialistischer Gewissheiten. Während »indigene Völker« eingeladen waren, »zu feiern, zu tanzen, zu schreien und die Straßen zu erobern«, wurden »Antideutsche« ausgeladen. Im »Awareness Statement« heißt es: »Es gibt keine Befreiung für uns ohne die Befreiung der Palästinenser:Innen. Die sogenannten Antideutschen sind bei dieser Veranstaltung nicht willkommen.«
Seit mehreren Jahren ist es bei linken Demonstrationen in Berlin gang und gäbe, die Teilnehmenden auf solchen Demonstrationen dazu aufzufordern, Partei- und Nationalfahnen zu Hause zu lassen. Damit sind immer auch Palästina-Fahnen gemeint gewesen. Das Quarc-Bündnis lud nun in Umkehrung dieser szeneinternen Verständigung dazu ein, Fahnen mitzubringen, nämlich von »antirassistischen, indigenen, antikolonialen« Kämpfen; unter den auf Facebook exemplarisch aufgezählten ist auch die palästinensische Fahne.
An Ort und Stelle teilten Helfende Zettel mit möglichen Parolen aus, darunter neben solchen zu queerer Selbstbestimmung, Solidarität mit Sexarbeitenden und transgeschlechtlichen Menschen viele mit Bezug zum für die queere Befreiung offenbar zentralen Anliegen, der palästinensischen Sache: »Deutschland finanziert, Israel bombardiert«, »Viva, viva Palästina«, »Stoppt den Kolonialismus, stoppt den Krieg, Intifada bis zum Sieg« sowie das eliminatorische »From the river to the sea, Palestine will be free«.
Aus Sicht der Veranstaltenden war die Demonstration ein voller Erfolg, sie sprechen von 10 000 Teilnehmenden. Beobachter gehen dagegen lediglich von mehreren Tausend aus. In einer für diese Szene typischen Mischung aus Triumphalismus und Einopferung bezeichnet das Bündnis die Demonstration als »Meilenstein« und »die vielfältigste queere Pride-Demonstration aller Zeiten in Berlin«, gleichzeitig beklagte es, unter ständiger Bedrohung durch die Polizei und rechte Journalisten gelitten zu haben. Dass sich der deutsche Staat so bedroht fühle, bestätige aber nur die Wichtigkeit der Pride.
Die fraglichen Journalisten waren jedoch keineswegs rechts. Das Bündnis hatte vor der Demonstration über die sozialen Medien und die eigene Website dazu aufgerufen, auf der Demonstration nicht zu fotografieren, vor allem keine Personen von vorne. Was als Schutz von migrantischen und illegalisierten Personen dargestellt wurde, erwies sich als Vorwand, um auf Pressefotografen und -fotografinnen loszugehen. Diese wurden von Ordnerinnen und Ordnern als »Zionistenpresse« beschimpft, zum Teil auch körperlich angegangen und verbal bedroht. Pressearbeit konnte deshalb nur unter Polizeischutz stattfinden. Nach der Pride verbreitete sich über Twitter ein Aufruf, die Namen zu den Fotos der anwesenden Journalistinnen und Journalisten herauszufinden. Der Tweet und der dazugehörige Account wurden später gelöscht.