Pro-Choice-Arzt auf Abwegen, von Judith Goetz und Kirsten Achtelik in der analyse & kritik 660 Impfgegner*innen, Prepper, Esohippies, Rechtsextreme – das wirre Sammelsurium an Ideologien und Mythen, das auf den »Hygienedemos« der Corona-Leugner*innen zusammentrifft, beruft sich gerne auf alternative Medien und vermeintlich unterdrückte Fakten. Wenn diese von Expert*innen vorgetragen werden, umso besser, verleiht es ihnen doch mehr Glaubwürdigkeit.
Dass der Wiener Allgemeinmediziner und Gynäkologe Christian Fiala zu den Kundgebungen der österreichischen Corona-Leugner*innen mobilisiert, ist daher für diese sich formierende Szene ein Glücksfall. Für die Pro-Choice-Bewegung im deutschsprachigen Raum ist es jedoch in mehrfacher Hinsicht ein Problem: Fiala ist ein wichtiger Abtreibungsarzt, der sich für die Rechte von ungewollt Schwangeren und gegen die »Lebensschutz«-Bewegung einsetzt. Zudem fordern die Demonstrant*innen die Möglichkeit zur »Selbstbestimmung« und vereinnahmen so eines der wirkmächtigsten Schlagworte der Pro-Choice-Bewegung. Die autonome Antifa Wien warnt in einem Artikel zum Thema, dass diese Verbindung »große Schäden in jahrzehntelangen Kämpfen verursachen« könnte.
Nun hat sich Fiala mit der von ihm mitgegründeten »Initiative für evidenzbasierte Corona Informationen« (ICI) aber nicht zufällig an die Spitze der österreichischen Corona-Leugner*innen gesetzt. Dass er bereits in der Vergangenheit durchweg fragwürdige Äußerungen zum HI-Virus getätigt hatte, war vielen in der Pro-Choice-Bewegung zwar bekannt, wurde jedoch nicht kritisch thematisiert. Ähnlich wie nun in Hinblick auf Covid-19 zweifelte er 2010 im Rahmen einer »Alternativen Aidskonferenz« am »Aids-Dogma« und hielt die Krankheit für eine »Panikmache«, die einer ganzen Generation die Lust auf Sexualität vermiest hätte.
Dass sich Fialas Engagement in puncto Abtreibung nicht von seiner neuen Berufung als Corona-»Skeptiker« trennen lässt, zeigt sich unter anderem daran, dass seine erste Pressemitteilung zu Covid-19 noch vom Account seiner Abtreibungsklinik, dem Gynmed-Ambulatorium, aus gesendet wurde. Darin verharmloste er bereits die Auswirkungen des Virus, indem er meinte, dass »wir uns am Ende einer eher harmlosen Grippe-Saison« befinden würden und die Maßnahmen nicht »evidenzbasiert« seien. Zudem appellierte er an seine Kolleg*innen, dass sie »Desinformation mit Fakten entgegentreten« sollten.
Die Ansammlung von Corona-Leugner*innen legt sich die Tatsachen so zurecht, wie es ihnen passt. Da gelten an den Haaren herbeigezogene Behauptungen als Fakten. Fiala führte beispielsweise aus, Gesichtsmasken wären »kontraproduktiv« bis »gefährlich«, zudem bezeichnete er Social Distancing als »Folter«.
Die meisten Studienergebnisse werden dagegen als interessengesteuert und als »Mainstream« abgelehnt, der Mediziner geht davon aus, dass es aus »medizinischer Sicht« keinen Grund gäbe, »vor diesem Virus Angst zu haben«. Die Mortalitätsrate werde überschätzt oder habe andere Ursachen als das Virus. Die Initiative gibt sich entsprechend ihres Namens große Mühe, den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu erwecken. Auf der Homepage werden wissenschaftliche Publikationen zu dem Virus SARS-CoV2 und der Erkrankung Covid-19 veröffentlicht, mit einem Schwerpunkt auf solche, die »einen kritischen Zugang zur Thematik enthalten«. Diese werden jedoch ohne jede Einordnung aufgelistet, was es für Lai*innen nahezu unmöglich macht, deren Bedeutung und Qualität einzuschätzen. In einer komplexen Welt reicht es eben nicht, »kritisch hinzuschauen«, um Zusammenhänge zu verstehen.
Dass Fiala »sich nicht für die Kundgebung verantwortlich fühle«, wie er öffentlich betonte, verwundert dennoch ebenso wie seine dürftige Distanzierung von der Beteiligung Rechtsextremer, Burschenschafter und Neonazis sowie von Anhänger*innen diverser Verschwörungsmythen, die Bill Gates, George Soros, »die Israeliten« oder die Pharmaindustrie für die Pandemie verantwortlich machen. Er wisse nicht, »wer hier was alles sagt«. Dann muss er wohl die Parolen »Wir sind das Volk« und »Wir sind die Juden« überhört sowie übersehen haben, dass ausgerechnet das Denkmal für die Opfer der NS-Militärjustiz während der zweiten Kundgebung mit Parolen wie »GatesNo« beschmiert worden war. Höchste Zeit für die Pro-Choice-Bewegung, hiervon Abstand zu nehmen.