Überdimensionierte Spermien überall: An der Decke baumeln sie, sie liegen in Schalen als Schlüsselanhänger, es gibt sie als Fliegenklatschen und Stifte. Dieses zentrale Symbol der Messe »Berliner Kinderwunschtage« wird ergänzt von Bildern properer, lachender, niedlicher Babys und ihrer diversen Köperteile – vor allem Füßchen und Händchen. Dazu Fotos hochschwangerer Bäuche, meistens mit einem Kind, das daran horcht. Aufnahmen glücklicher Familien dürfen auch nicht fehlen. Ein weißes Boot, das »Hoffnung« heißt, segelt auf dem Bild einer Broschüre in tiefblauem Wasser.
Was in dieser Bildsprache nur am Rand vorkommt, sind die von Reproduktionsmedizinern heißbegehrten Eizellen – das mag daran liegen, dass deren Form nicht so eingeprägt ist wie die von Spermien. Eizellen sind allerdings auch ein rareres Gut in der Fruchtbarkeitsbranche. Sperma verändert seine Qualität mit dem Alter des Mannes kaum, Eizellen altern hingegen mit den Frauen, was der physiologische Grund für die vielbeschworene »biologische Uhr« ist. Eizellen sind zudem nur mit einem invasiven Eingriff aus dem Körper zu bekommen. Die Hormontherapie, die das Heranreifen mehrerer Eizellen bewirkt, ist für die meisten Frauen körperlich und psychisch anstrengend.
Wenn Frauen oder andere Personen mit einer als weiblich definierten Anatomie einen starken Wunsch nach einem eigenen Kind hegen, mag es naheliegend sein, diese Nachteile in Kauf zu nehmen. Sich dieser Prozedur zu unterziehen, um anderen zu einem Kind zu verhelfen, ist jedoch weniger nachvollziehbar – es sei denn, die Frauen ahnen nichts von den Beeinträchtigungen, oder die Bezahlung kann diese kompensieren.
»Wer bringt die Eier?«
Um auf diese Leerstelle der Messe – die Ausbeutung der Eizellgeberinnen und der Leihgebärenden – hinzuweisen, verteilen einige Frauen vor den Veranstaltungsräumen des Mercure-Hotel in Berlin-Moabit Postkarten, auf denen die provokative Frage »Wer bringt die Eier?« gestellt und mit »Ist nicht egal!« beantwortet wird. Papiere, Kataloge und Broschüren gibt es jedoch tonnenweise und so fällt die Postkarte möglicherweise mehr durch ihr schlichte Machart in Schwarzweiß als durch ihren herausfordernden Inhalt auf. Während drinnen Agenturen und Fruchtbarkeitskliniken ihre all-inclusive-Garantiepakete anpreisen, kritisiert die Gruppe »fem*ini – feministische Initiative gegen reproduktive Ausbeutung« die »fremdnützigen medizinischen Eingriffe«, die die »körperliche und psychische Integrität« von Eizellgeberinnen und sogenannten Leihmüttern verletze. Durch die Umsetzung der Forderung, das eigentlich EU-weit geltende Kommerzialisierungsverbot für Körperteile auch durchzusetzen, würde zumindest einigen der Anbieter in der Halle die Verdienstgrundlage entzogen. Das Sicherheitspersonal am Einlass sieht jedoch keinen Grund einzugreifen.
Viele Praktiken, über die auf der Messe detailliert informiert wird, sind in Deutschland nicht zugelassen. Eizellabgabe und Leihgebären sind vom Embryonenschutzgesetz seit Anfang der neunziger Jahre verboten und seit Juli 2018 sorgt das Samenspenderegister dafür, dass Kinder, die seitdem aus einer Samenspende entstanden sind, ihren genetischen Vater finden und kontaktieren können. Die Anonymität, die Spender und Spenderinnen in vielen Ländern haben, ist seitdem in Deutschland passé. Präimplantationsdiagnostik, die genetische Untersuchung der befruchteten Eizelle, ist zwar 2011 in Deutschland legalisiert worden, soll aber nur bei einem begründeten Verdacht auf eine sehr schwere Beeinträchtigung von einer speziellen Ethikkommission genehmigt werden. In vielen anderen Ländern wird das sehr viel lockerer gehandhabt, die »Qualitätskontrolle« der befruchteten Eizelle gehört bei vielen auf der Messe vertretenen Fruchtbarkeitskliniken zum Standardprogramm.
Der freundlich junge Mann von der European Sperm Bank bewirbt zum Beispiel die »überragende Qualität« seines Produktes, indem er im Gespräch mit der Jungle World »gesunde Kinder« verspricht. Samenspender würden auf sechs »schwere Erbkrankheiten« getestet, darunter Mukoviszidose, spinale Muskelatrophie und Taubheit, und bei einem positiven Testergebnis abgelehnt. Den Hinweis, dass es sich bei Taubheit wohl kaum um eine schwere Beeinträchtigung handelt, versteht der Angestellte der dänischen Samenbank nicht. Statt nachzufragen, setzt er an, einen kleinen Vortrag über Anlageträgertests und Vererbungswahrscheinlichkeiten zu halten. Als sein Gegenüber ihm signalisiert, mit dem Thema beruflich beschäftigt zu sein, stellt er das mansplaning ein. Dass die Kundinnen jede Behinderung möglichst ausschließen wollen, ist eine der nicht hinterfragbaren Grundannahmen des Geschäfts.
Ähnlich ist es bei der Frage, nach welchen Kriterien Spender und Spenderinnen von reproduktiven Material ausgesucht werden: Das sogenannte Matching ist für die Zielgruppe zentral, da die meisten vortäuschen wollen, es wäre ihr biologisch und genetisch eigenes Kind. Gesund sollen die Spender und Spenderinnen sein und dem zukünftigen Kind möglichst viele gute Eigenschaften mitgeben. Der Referent der US-amerikanischen Klinik ORM Fertility verspricht seinen Zuhören bei einem Seminar für schwule Paare und alleinstehende Männer, in den USA könnten alle Wünsche der zukünftigen Eltern erfüllt werden – wenn man sie bezahlen könne.
Alles für die Kunden
Die ukrainische O.L.G.A. Fertility Clinic hat einen Katalog ihrer Spenderinnen mitgebracht, in dem eine Vielzahl von Eigenschaften verzeichnet sind. Kleine Briefe sollen die Kunden und Kundinnen davon überzeugen, dass die Spenderinnen alles freiwillig und sogar gerne machen: Alle sind »so happy«, einem Paar dabei helfen zu können, ihren sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Die Eizellgeberinnen haben anscheinend keinerlei Bedenken, allerlei Daten über sich preiszugeben: Neben Kinder- und Erwachsenenfotos von ihnen selbst und Informationen zu ihren körperlichen Eigenschaften geht es auch um ihre wichtigsten Charaktereigenschaften, Schulabschluss und Beruf, Hobbys, Fähigkeiten und Glaubensfragen: Glauben sie an Wunder und Astrologie? Können sie Gedichte schreiben? Das Portfolio wird abgerundet mit Angaben über ihre eigenen Kinder: Ab wann konnte es laufen, sprechen, brauchte keine Windel mehr, hat es »Disziplinprobleme«? Ob die Mehrzahl der Kundinnen und Kunden tatsächlich glaubt, dass diese Eigenschaften vererbbar sind? Die Konkurrenz in der internationalen Fruchtbarkeitsindustrie ist groß, und die Unterschiede in den Angeboten und Behandlungsmethoden sind eher gering. Da können nach dem Motto »viel hilft viel« vier Seiten mit Informationen besser scheinen als zwei.
Bei den »Kinderwunschtagen« ist alles auf die Bedürfnisse der Kundschaft ausgerichtet. Diese möchte offenbar gerne hören, dass es bei dem nächsten Versuch auf jeden Fall klappen wird und der Wunsch nach dem eigenen gesunden Kind in Erfüllung gehen kann. Die Klinik IVF-Spain verspricht eine Schwangerschaftsrate von 80 Prozent. Das ist erstaunlich hoch, allerdings auch nicht die Zahl, die die Kundschaft wirklich interessiert. Dass die Frau schwanger wird, heißt nämlich noch nicht viel. Viel wichtiger ist die sogenannte Baby-take-home-Rate, also die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Behandlung tatsächlich zu einem Kind führt. Diese liegt im Durchschnitt lediglich bei rund 20 Prozent, wie hoch sie in der spanischen Klinik ist, erfahren wir nicht. Die Angestellte von Barcelona IVF betont, wie stressfrei die Prozedur sei: Alle Vorbehandlungen könnten in Deutschland stattfinden, das Paar würde dann nur noch ein Wochenende zur Einpflanzung der befruchteten Eizelle einer anderen Frau in Barcelona verbringen – »wie zum Shopping!« Die körperliche und hormonelle Vorbereitung der intendierten Mutter durch ein deutsches Kinderwunschzentrum auf eine in Deutschland verbotene Transaktion bewegt sich allerdings im strafrechtlich relevanten Bereich.
Doch nicht nur in Deutschland gibt es Restriktionen, die der Erfüllung eines Kinderwunsches entgegenstehen. Die Broschüre der ukrainischen Klinik Ilaya preist daher ihre Partnerprogramme mit tschechischen, mexikanischen und US-amerikanischen Kliniken an, zudem gebe es ein Büro in Spanien – die perfekte Kombination für meine Bedürfnisse und meinen Geldbeutel könne so gefunden werden. Auch hier versteht der freundliche Herr hinter dem Stand die Frage nicht, ob es für die zukünftigen Kinder eine Möglichkeit gebe, ihre genetische Mutter kennenzulernen. Die Anonymität der Eizellspenderinnen sei gewährleistet, man könne aber alles über sie erfahren, was man wissen wolle. Wie geht es denn den Leihgebärenden? Haben sie Verträge und Rechte? Auch darüber brauche man sich keine Sorgen machen, sie würden »unangekündigt besucht, damit sie keinen Mist machen«. Die Botschaft ist klar: Die Qualität des Produktes wird gesichert.
Die Veranstaltungshalle ist leerer als in den Vorjahren. Eventmanagerin Anne Spickenagel sagt, es habe »jeden Tag« Absagen von Standmietern wegen der Coronaepidemie gegeben, insgesamt zehn. Anders als in den Vorjahren kosten die Eintrittskarten nichts, auf der Website gibt es andauernd nervige Pop-ups, die »free tickets« anbieten. Glücklicherweise habe es vor der Messe »keine Demo oder schlechte Artikel« gegeben, sagt Spickenagel; die Messe sei mittlerweile akzeptiert. Im ersten Jahr der Messe hatte es mehr Kritik gegeben. Der Berufsverband der Frauenärzte hatte 2017 bezweifelt, dass es sich um eine Informationsveranstaltung handle, und sprach von Werbung. Der Berliner Landesverband der Gynäkologen warf den Veranstaltern und Anbietern unseriöse Geldmacherei vor. Die Berliner Gesundheitsverwaltung hatte, allerdings erfolglos, die Möglichkeit geprüft, die Messe zu verbieten.
Diesmal ohne Protest
In diesem Jahr gab es zur Gesundheitsverwaltung nur wegen der Coronaepedemie Kontakte, sagt Spickennagel. Auf der Messe gebe es nur Informationen, aber keine Werbung und keine Verkäufe; was die Leute nach der Messe mit den Informationen machten, sei »selbstverständlich ihnen überlassen«, erläutert die Eventmanagerin das Konzept der Veranstaltung. Das sieht der Verein Spenderkinder völlig anders. Er setzt sich für die Rechte und Bedürfnisse von durch Keimzellvermittlung entstandenen Menschen ein. Da die Anwesenheit der Reproduktionskliniken und -agenturen darauf ziele, Kunden zu gewinnen, und dazu »niedliche Babyfotos verwendet, um an den Kinderwunsch der Interessierten anzuknüpfen«, sei diese Tätigkeit nach der EU-Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung eben nicht als Information, sondern als Werbung zu werten, so der Verein in einer Pressemitteilung. Babyfotos gibt es tatsächlich an beinahe allen Ständen, an einigen wenigen liegen sogar Preislisten aus. So kostet eine künstliche Befruchtung mit fremden Eizellen bei einer tschechischen Firma knapp unter 5 000 Euro.
Es ist nicht immer einfach, herauszufinden, woher die Anbieter überhaupt kommen. Die Agentur surrogatebaby.com macht es mir mit den Silhouetten der russischen Städte St. Petersburg, Kaliningrad und Moskau inklusive der ungefähren Flugzeit ab Berlin dagegen einfach. Was allerdings verwirrt, ist die darüber angebrachte Regenbogenbanderole. Russland und die Regenbogenfahne – wie passt das denn zusammen? Der freundliche Herr mit österreichischem Akzent, der sich als schwuler Vater zu erkennen gibt, zeigt sich erstaunt über die Frage. Homophobie in Russland? Das sei Propaganda westlicher Medien. Er jedenfalls habe keine negativen Erfahrungen gemacht, »das Volk« sei freundlich. Und überhaupt: »Vorfälle gibt es schließlich überall.« Als westliches Medium hakt die Jungle World nach: Sei so ein Stand auch auf einer Moskauer Messe möglich? Selbstverständlich, entgegnet der schwule Papa. Die erste Diskriminierung habe sein Kind in der österreichischen Kita erfahren.
Die FDP will Kinderwünsche erfüllen
Auf der Demonstration zum Frauenkampftag klingt das etwas anders: Vom Wagen des Magazins Libertine fordert eine Rednerin die Demonstrierenden auf, sich für die russische Aktivistin und Illustratorin Julija Zwetkowa einzusetzen. Hier im queeren Block sind sich alle einig, dass das Gesetz gegen die so genannte Homopropaganda diskriminierend sei. Seit 2013 soll es Minderjährige vor »nichttraditionellen sexuellen Beziehungen« schützen, indem jede positive Äußerung über Homosexualität in ihrer Gegenwart verboten ist. Zwetkowa steht seit November vergangenen Jahres unter Hausarrest. Sie hatte unter anderem Frauenakte und gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern gezeichnet. Die Künstlerin wollte damit ein schwules Paar unterstützen, das Russland mit seinen adoptierten Söhnen verlassen hatte, um einer Wegnahme der Kinder und einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. Wegen »Herstellung und Verbreitung von pornographischem Material« und »Homopropaganda« drohen der Künstlerin bis zu sechs Jahre Haft.
Nur vier Tage nach der Messe bringt die FDP einen Gesetzentwurf zur Änderung des Embryonenschutzgesetzes unter dem Titel »Kinderwünsche erfüllen, Eizellspenden legalisieren« in den Bundestag ein. Die Partei sorgt sich darum, dass deutsche Paare aufgrund des deutschen Verbots »teilweise zu horrenden Preisen und unter Inkaufnahme gesundheitlicher Risiken aufgrund niedrigerer medizinischer Standards« diese Leistung im Ausland vornehmen lassen müssten. Sie vertritt die Interessen der Kunden und Kundinnen, in den Worten der FDP: »Wir stehen an der Seite der Menschen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen.« Die Spenderinnen sind den Liberalen nicht völlig egal, allerdings gibt es anscheinend keinen Grund, sich um deren Gesundheit zu sorgen, da die »Eizellgewinnung heute sehr schonend durchgeführt« werde. Ohne Aussprache verwies der Bundestag den Antrag der FDP-Fraktion in den Gesundheitsausschuss.
Zwischen den »Kinderwunschtagen« und der Auftaktkundgebung der Frauenkampftagsdemonstration lagen in Luftlinie lediglich zwei Kilometer. Schwangerschaftsabbrüche, Verhütungsmittel und Bevölkerungspolitik waren Themen, die die Feministinnen beschäftigten, die mögliche Legalisierung bisher verbotener Reproduktionstechniken jedoch nicht. Dass dieses Thema in den parlamentarischen Prozess eingebracht wurde, verlangt möglicherweise schneller nach einer feministischen Intervention, als einigen lieb sein dürfte.