Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat Anfang Juni 2019 die Stellungnahme „Fortpflanzungsmedizin in Deutschland – für eine zeitgemäße Gesetzgebung“ veröffentlicht, in der ein neues, sehr liberales Fortpflanzungsmedizinrecht gefordert wird. Im GID 250.
Nach dem im März 2017 veröffentlichten Diskussionspapier „Ethische und rechtliche Beurteilung des genome editing in der Forschung an humanen Zellen“ versucht die Leopoldina mit der jetzigen Stellungnahme erneut die Axt an das Embryonenschutzgesetz zu legen. Auf einer Abendveranstaltung in Berlin wurde Anfang Juni das Ergebnis einer siebenjährigen Arbeitszeit vorgestellt und mit Politiker*innen diskutiert.
Der Medizinrechtler Jochen Taupitz hielt als Sprecher der Arbeitsgruppe den Eröffnungsvortrag, mit dem er ein Bild von dringendem Handlungsbedarf zeichnete, die Gefahren der Techniken kleinredete und die Probleme der jetzigen legalen Praxis dramatisierte. Zudem erzeugte er mit der präpotenten Aussage, mit der Stellungnahme eine Schwangerschaft im Parlament „anstoßen“ zu wollen, die vermutlich mit der „Geburt“ eines liberalen Fortpflanzungsmedizingesetzes enden soll, recht unangenehme Bilder in den Köpfen zumindest einiger Zuhörer*innen. Große Teile des Publikums, das sich hauptsächlich aus Angestellten von Fruchtbarkeitskliniken und Reproduktions-Forscher*innen zusammenzusetzen schien, konnte diesem Drängen jedoch deutlich etwas abgewinnen.
Wissenschaftsakademie als Lobbygruppe
Die 1652 gegründete Leopoldina versteht sich als „klassische Gelehrtengesellschaft“, die zu einer „wissenschaftlich aufgeklärten Gesellschaft und einer verantwortungsvollen Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Wohle von Mensch und Natur“ beiträgt. In ihrem Leitbild heißt es weiter, dass die Akademie „in der wissenschaftlichen Kommunikation und Politikberatung“ Themen setzen und „fachkompetent, unabhängig, transparent und vorausschauend Empfehlungen“ vorlegen würde.4 Die Stellungnahme zur Fortpflanzungsmedizin macht sehr deutlich, dass die Arbeitsgruppe hier ein Thema als relevant und dringend bearbeitungsbedürftig setzen möchte, an der Ausgewogenheit der Expertise und einer reflektierten Mischung verschiedener relevanter Fachkompetenzen kommen jedoch Zweifel auf. Die Stellungnahme liest sich wie ein „Wünsch dir was“ von Fruchtbarkeitskliniken und Reproduktionsmediziner*innen. Immerhin drei Personen der 20-köpfigen Arbeitsgruppe arbeiten denn auch in leitender Position in Kinderwunschzentren. Eher kritische Geister wie die feministische Philosophin Susanne Lettow waren dagegen schon vor Jahren aus der Arbeitsgruppe ausgeschieden.
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