In: 244, Februar 2018, S. 42
Die Schwangerschaft gilt als eine Zeit, die von starken, hormonbedingten Gefühlsschwankungen geprägt ist. Die Historikerin und Psychologin Lisa Malich zeigt in ihrer Dissertation, dass diese Vorstellung sich erst in den 1970er Jahren durchgesetzt hat und die behaupteten Kausalzusammenhänge zwischen Hormonen und Gefühlen keineswegs belegt sind. Malich untersucht die politischen, gesellschaftlichen und medizinischen Dynamiken, die hinter der Wahrnehmung von Schwangerschaft als scheinbar natürlichem Phänomen liegen. Auch der Fötus gewinnt seit den 1970er Jahren an Relevanz: Durch den aufkommenden Ultraschall wird er als autonomes „Kind“ visualisiert und durch die Durchsetzung der hormonellen Erzählung wird er zum hormonellen „Signalgeber“, der seine Bedürfnisse kundtun und die Handlungen der Schwangeren „steuern“ kann. Allerdings wird auch die Schwangere verstärkt in die Verantwortung genommen, da „falsches Verhalten“ zunehmend als schädlich für den Fötus eingeschätzt wird. Diese Verantwortungszuschreibung und die im Gefühlshaushalt immer mehr Raum einnehmende Angst prägen den Aufstieg des Risikomodells, das sich heute in voller Blüte befindet. Dessen Entstehung und Vorgängermodelle zu verstehen kann helfen, Schwangerschaft anders denken zu können. Dazu leistet das Buch einen wertvollen Beitrag.
➤ Lisa Malich: Die Gefühle der Schwangeren. Eine Geschichte somatischer Emotionalität (1780-2010), Transcript Verlag (2017), 448 Seiten, 34,99 Euro, ISBN 978-3-8376-3596-6.