Die übergroße Mehrheit der Menschen, die versuchen, ihren Kinderwunsch mit in Deutschland verbotenen Reproduktionstechniken zu befriedigen, sind heterosexuelle Paare. Menschen mit Behinderung und queere Menschen werden von Legalisierungsbefürworter*innen allerdings überproportional häufig als Zielgruppe genannt. (In GID-Schwerpunkt 242, August 2017, S. 16 – 18)
Zur Erfüllung des Wunsches, mit Kindern zu leben, begegnen Menschen mit Behinderung und queere Menschen durchschnittlich mehr Schwierigkeiten als heterosexuelle Paare. Dazu gehören ein in mehrfacher Hinsicht diskriminierendes Adoptionsrecht, gesellschaftliche Vorurteile und auch biologische Beschränkungen. Auf den Ausgleich letzterer konzentriert sich die öffentliche Debatte, als wären die biologischen Beschränkungen die letzten Hürden vor eine vollständigen gesellschaftlichen Teilhabe und einer Gleichberechtigung behinderter und queerer Menschen.
Recht auf ein Kind?
Viele Menschen mit Behinderung leben immer noch in Sondereinrichtungen, also in fremdbestimmten Strukturen, in denen das Recht auf Intimität und Privatsphäre wenig gilt. Frauen mit kognitiven Beeinträchtigungen werden weiterhin häufig von ihren Kindern getrennt.1 „Elternassistenz“ ist zwar mittlerweile ein anerkanntes Konzept für die personelle Hilfe für Eltern mit Beeinträchtigungen, es gibt aber kein Recht darauf. Der Anfang dieses Jahres vom Sozialministerium vorgelegte Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen zeigt, dass nur sieben Prozent der Menschen mit Beeinträchtigungen in Paarbeziehungen mit Kindern leben, wobei 75 Prozent der 25- bis 59-jährigen Menschen mit Beeinträchtigungen sich Kinder wünschen.2 Nur jede dritte Familie, die Assistenz benötigt, kann einen Antrag auf finanzielle Unterstützung stellen, alle anderen müssen behinderungsbedingte Hilfen bei der Versorgung der Kinder selbst finanzieren. Deswegen leben trotz Erwerbstätigkeit ganze Familien auf Sozialhilfeniveau.3 Erst 1990 trat eine gesetzliche Regelung in Kraft, die die Sterilisation Minderjähriger generell verbot, 1992 erschwerte eine Änderung des Betreuungsrechts die Sterilisation auch von so genannten nicht-einwilligungsfähigen Personen. Immer noch ist die behindertenfeindliche und ableistische Vorstellung, dass behinderte Menschen geschlechtslose Wesen ohne Sexualität und Kinderwünsche seien, weit verbreitet.
Mittlerweile werden die Bedürfnisse behinderter Menschen, Kinder zu bekommen und mit ihnen zusammenleben zu können, aber zur Legitimierung der Forderung nach Freigabe bisher in Deutschland verbotener Techniken verwendet. Humangenetiker*innen, Jurist*innen und Reproduktionsmediziner*innen haben Menschen mit Behinderung als legitime Bedarfsgruppe für eine Legalisierung der Technologien „entdeckt“. Auch Frauen und Paare mit Behinderung werden so zu Subjekten der Biomedizin und zu potentiellen Kund*innen reproduktionsmedizinischer Dienstleistungen. Der Humangenetiker und Mitglied des Ethikrates Wolfram Henn markierte in seiner Einführung des Bioethik-Forums „Eizellspende im Ausland – Konsequenzen im Inland“ vom Deutschen Ethikrat am 22. März 2017 Frauen, die mit dem Ullrich-Turner-Syndrom leben, explizit als „unfruchtbar“. In seiner Fallgeschichte wurde aus dem „sehr bekümmerten“ ein „sehr glückliches“ Paar – mit Hilfe einer Eizellspende.4 Selbsthilfegruppen spielen in solchen Diskursverschiebungen häufig eine bedeutende Rolle. „Leider ist die Eizellspende in Deutschland nicht legal“, schreibt Carolina in ihrem Bericht für das Magazin der Ullrich-Turner-Syndrom-Vereinigung über ihre auf einer in Spanien gespendeten Eizelle beruhenden Schwangerschaft.5 Die Legalisierung der Praktik wird also von den Betroffenen selbst gefordert – das ist ein starkes Argument, um neue Reproduktionstechnologien gesellschaftlich und gesetzlich durchzusetzen.
In die bundesdeutsche Debatte um reproduktive Rechte haben sich Frauen und Feministinnen mit Behinderung schon früh eingebracht. Anders als Feministinnen ohne Behinderung kritisierten sie das zunehmende Angebot an pränataler Diagnostik seit Anfang der 1980er Jahre scharf. Die Krüppelfrauen betonten, sie würden in Bezug auf Schwangerschaft und Kinderkriegen völlig anders behandelt als nicht behinderte Frauen: Diese sollten Kinder bekommen, der Zugang zu Verhütungsmitteln, Sterilisation und Abtreibung sei schwierig. Dagegen sei für behinderte Frauen weder sexuelles Begehren, noch der Wunsch nach Kindern akzeptiert. Die Feministinnen mit Behinderung entwickelten in dieser Auseinandersetzung die Forderung, „Kinder bekommen zu dürfen“.6 Dies meinte aber nie das „Recht auf ein Kind“, wie es heute häufig verkürzt zusammengefasst wird.
Glückliche Homos?
Homosexuelle Paare können in Deutschland gemeinsam kein Kind adoptieren, das ist nur über eine Allein- und spätere Stiefkind-Adoption des*der Partners*in möglich. Auch bei der Geburt eines biologischen Kindes werden gleichgeschlechtliche Eltern benachteiligt, da sie nicht automatisch als Eltern anerkannt werden. Das wird sich auch mit der im Oktober in Kraft tretenden „Ehe für Alle“ nicht ändern. Der von Justizminister Heiko Maas eingesetzte „Arbeitskreises Abstammungsrecht“ empfahl zwar in seinem im Juli vorgelegten Abschlussbericht, dass die festen Partnerinnen von lesbischen Frauen automatisch zur Zweitmutter werden sollen – eine Reform dieses Gesetzes ist jedoch in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich.7 Seit Anfang 2016 können auch unverheiratete Heterosexuelle finanzielle Zuschüsse zur In-vitro-Fertilisation (IVF) von den gesetzlichen Krankenkassen erhalten – Lesben und alleinstehende Frauen sind weiterhin ausgeschlossen.
Diese Ungerechtigkeiten beschäftigen große Teile der queeren Community jedoch nur am Rande. Skandalöser scheinen die Verbote von Eizellabgabe und Leihgebären zu sein – beeinträchtigt das den Kinderwunsch schwuler Männer, die immer noch die Szene dominieren, doch am meisten. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) erhebt in seinem aktuellen Positionspapier „Regenbogenfamilien im Recht“ sehr weitgehende Liberalisierungsforderungen. Der einleitende Satz „Jeder Mensch hat das Recht, eine Familie zu gründen“ wird im Folgenden so ausbuchstabiert, dass jegliche Einschränkung der Möglichkeiten zur Familiengründung als Diskriminierung gewertet wird. Der LSVD fordert daher die Zulassung sowohl der „altruistischen Leihmutterschaft“ als auch der „altruistischen Eizellspende“. Das Verbot der Eizellabgabe in Deutschland definiert der Verband als „Geschlechtsdiskriminierung der Frau“ und postuliert ein Recht darauf, Eizellen spenden zu können.8 Diese Argumentation ist jedoch unredlich: Es gibt in Deutschland keine potentiellen Spenderinnen, die sich durch das Verbot in ihren Menschenrechten eingeschränkt fühlen. Vor allem das selbsternannte „Zentralorgan der Homo-Lobby“ queer.de feiert jedes Kind eines schwulen Paares geradezu frenetisch. Jedes Gerichtsurteil, das nationale Verbote gegen den Reproduktionstourismus durchsetzen will und beispielsweise die Legalisierung der dadurch entstandenen Kinder erschwert, wird hier als homofeindliche Diskriminierung wahrgenommen und scharf verurteilt.
Eine in den 1980er Jahren entwickelte lesbisch-feministische Kritik sprach sich angesichts des damaligen lesbischen Baby-Booms in den USA, Kanada, Großbritannien und den Niederlanden gegen die Auffassung aus, die Nutzung von Reproduktionstechnologien durch nicht-Genderrollen-konforme Menschen sei ein subversiver Akt. Auch heute wird immer wieder behauptet, die zweigeschlechtliche Ordnung werde durch die Techniken als sozial und technisch hergestelltes Konstrukt entlarvt. Im Gegenteil wird aber das auf Paarbeziehung und Familie ausgerichtete heteronormative Geschlechterregime immer wieder auch durch den Gebrauch von Reproduktionstechniken hergestellt.9
Diese Entwicklung ist aus feministischer, queerer und behindertenpolitischer Perspektive problematisch, wird aber bisher kaum kritisch diskutiert.10 Eine Aktualisierung der Diskurse sollte an die Debatten der 1980er Jahre anknüpfen und nicht den Zugang zu Reproduktionstechnologien als reine Gerechtigkeits- und Zugangsfragen verhandeln. Eine Diskussion darüber, was wir als soziale Bewegungen, Communitys und Selbsthilfegruppen unter Diskriminierung und Befreiung verstehen, ist dringend nötig, damit nicht Reproduktionsmediziner*innen und Kinderwunschkliniken sich zu unseren Anwält*innen aufspielen können und damit ihre ökonomischen und von einem falschen Freiheitsbegriff getragenen Liberalisierungsbegehrlichkeiten begründen können.