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Abtreibungen: Wollen wir wirklich alles wissen?

Mit der Parole „Mein Bauch gehört mir“ erkämpfte sich die Frauenbewegung hierzulande in den 70er-Jahren das Recht auf Abtreibung. Auch heute ist dieses noch immer Gegenstand kontroverser Debatten.

Selten bis gar nicht – und wenn dann nur von konservativen Kräften und Abtreibungsgegnern – wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Pränataldiagnostik diskutiert. Diese führt laut der Sozialwissenschaftlerin und Journalistin Kirsten Achtelik zu selektiver Abtreibung. In ihrem Buch „Selbstbestimmte Norm“ zeigt sie einerseits auf, welche Konflikte und Gemeinsamkeiten es im Spannungsfeld zwischen Behinderten- und Frauenbewegung gibt und entwirft andererseits ein neues Konzept der Selbstbestimmung.

kurier.at: Sie bezeichnen sich als Feministin, stellen aber infrage, dass Sie als solche jede Art von Abtreibung verteidigen sollen. Wann ist ein Schwangerschaftsabbruch aus Ihrer Sicht problematisch?

Achtelik: Wenn eine Frau ungewollt schwanger ist, aber kein Kind haben will, soll ihr jede Art von Abtreibung ermöglicht werden. Ich halte es aber für problematisch, pränatale Diagnostik und daraus resultierende Abbrüche aufgrund einer möglichen Behinderung nicht zu hinterfragen. Die Gründe für eine Abtreibung sind dann häufig tendenziell behindertenfeindlich oder von Angst und Unkenntnis geprägt. Es wird aber so getan, als wäre das unter dem Motto von wohldurchdachten Entscheidungen zu akzeptieren und zu verteidigen.

In Österreich, aber auch Ländern wie Deutschland, Italien oder Belgien, darf bis unmittelbar vor der Geburt abgetrieben werden, wenn eine medizinische Indikation vorliegt. Öffentlich wird darüber wenig diskutiert. Warum ist das so?

Über Abtreibungen wird ja sowieso wenig gesprochen und sogenannte Spätabbrüche machen prozentual nur einen geringen Teil der Abbrüche aus. Es ist ein Trick von Abtreibungsgegnern und ‚Lebensschützern‘, hauptsächlich über diese Fälle reden zu wollen, weil sie dem, was man sich unter einem Baby vorstellt, am nächsten kommen. Ich spreche aber lieber über die Diagnostik, weil das Problem schon viel früher als beim Abbruch anfängt. Dieser ist oft eine Entscheidung am Ende einer Diagnosespirale.

Die Frau sieht sich dann in eine Situation manövriert, in der die einzige Frage bleibt: ‚Kann ich mir das Leben mit einem Kind mit Behinderung vorstellen?‘ Das werdende Kind ist noch nicht einmal geboren, wird aber nur noch darauf reduziert. Von den anderen Dingen, die man sich als Schwangere so vorstellt, wie zum Beispiel, was das erste Wort des Kindes sein wird oder wo man mit ihm spazieren geht, bleibt dann nichts mehr übrig.

Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, in der die Antwort auf diese Ängste nicht noch mehr Vorsorge, Überwachung und bessere Technik lautet?  

Wir brauchen eine wirklich inklusive Gesellschaft und ein Sozialsystem, in dem niemand mehr Angst vor Behinderung oder Altwerden haben muss. Ich würde aber eben auch früher als bei den Abbrüchen ansetzen und die Frage stellen, warum wir diese ganzen Untersuchungen machen, warum wir das alles wissen wollen. Und konkret als Feministin, warum wir das verteidigen müssen, dass wir alles wissen müssen.

Was ist die feministische Position zur selektiven Abtreibung weiblicher Föten, wie sie weltweit in einigen Ländern passiert? Da herrscht unter Feministinnen großteils Einigkeit darüber, dass eine Selektion nach Geschlecht überhaupt nicht geht. Das wird als frauenfeindlich und antifeministisch eingestuft, manche sprechen sogar von Feminizid.Warum wird dann bei einer Abtreibung eines möglicherweise behinderten Fötus in feministischen Kreisen mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau argumentiert?

Darüber habe ich mich mit vielen Feministinnen diskutiert und kann die Begründung einfach nicht nachvollziehen. Offenbar kann Frausein objektiv kein Problem sein, eine Behinderung hingegen schon. Was es nicht sollte, in der Denkweise scheint das aber noch immer so verankert zu sein. Es wird dann argumentiert, dass ein behindertes Kind viel mehr Aufwand bedeutet, weil man beispielsweise Beihilfen beantragen muss oder die Frau noch mehr aus der Gesellschaft ausgeschlossen ist, wenn sie sich alleine um das Kind kümmern muss.

Das stimmt zwar zum Teil, diese Ängste muss man aber auflösen, anstatt sie immer weiter zu schüren. Das wäre unsere eigentliche Aufgabe. Und nicht, weiter so zu tun, als wäre die Behinderung das Problem und nicht die behindertenfeindliche Gesellschaft. Außerdem muss man dann auch anerkennen, dass die Geburt einer Tochter unter bestimmten Bedingungen ebenfalls mit größeren Belastungen verbunden sein kann.

Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren eigenen Körper und somit auch auf Abtreibung ist das zentrale Anliegen der Pro-Choice-Bewegung. Inwieweit können Frauen eine solche Entscheidung angesichts der engmaschigen Überwachung des Fötus überhaupt selbstbestimmt treffen?

Diese Frage kann man bei allen Entscheidungen im neoliberalen Kapitalismus stellen. Als ich in Zürich auf Lesereise war, hing da ein riesiges Plakat mit dem Slogan: ‚Meine Dinger, mein Ding.‘ Also eine Werbung für Brust-OPs, die auf eine empowerte, selbstbewusste, starke Frau zielt, die meint, schönere Brüste haben zu müssen. Das aber unter der Bedingung der Selbstbestimmung und der Kontrolle über den eigenen Körper. Mit diesem feministischen Slogan funktioniert halt heute Werbung.

Das zeigt, dass sich seit den 70er-Jahren einiges geändert hat. Es funktioniert offensichtlich nicht mehr, mit den Parolen von früher auf Abtreibungsgegner loszugehen und gleichzeitig zu meinen, man könnte damit den neoliberalen Kapitalismus und die Werbeindustrie bekämpfen. Man muss sich da etwas anderes überlegen, beziehungsweise differenzierter argumentieren und eben nicht mehr so parolenhaft.

In Österreich trat im Februar vergangenen Jahres das neue Fortpflanzungsmedizingesetz in Kraft. Dieses ermöglicht die Samenspende für Lesben, unter bestimmten Bedingungen auch Eizellenspende und Präimplantationsdiagnostik. Wie beurteilen Sie diese Vorstöße?

Ich sehe diese ganzen Fortpflanzungstechniken kritisch. Die feministische Fraktion, die ich stärken will, setzt sich dafür ein, dass man das Leben mit Kindern allen ermöglichen muss. Das heißt aber nicht, dass das unbedingt das genetisch eigene Kind sein muss – mit allen technischen Mitteln und möglicherweise sogar noch vom Staat bezahlt. Ich halte die Forderung nach dem Zugriff auf den Körper von anderen Leuten für schwierig und eine Eizellenspende muss ja letztlich von einer anderen Frau kommen. Dabei gibt es noch keine Studien darüber, welche Spätfolgen das für die Spenderin haben kann.

Bei der Präimplantationsdiagnostik wird schon aussortiert, bevor die befruchteten Eizellen überhaupt in den Körper der Frau eingesetzt werden. Es handelt sich um die selektive Technik par excellence. Mir geht es da nicht um die Embryonen, denn ich bin keine ‚Lebensschützerin‘ und trauere auch keinem werdenden Leben hinterher. Mir geht es dabei um das selektive Prinzip.

In dem kürzlich veröffentlichten Spielfilm „24 Wochen“ wird eine Spätabtreibung aufgrund einer diagnostizierten Behinderung thematisiert. Wie beurteilen Sie diesen Film?

Die Situation wird in dem Film etwas unrealistisch dargestellt, weil das Paar Geld wie Heu hat. Und weil es nach der Diagnose Trisomie 21 noch relativ überzeugt davon ist, das werdende Kind zu bekommen. Erst als ergänzend ein Herzfehler festgestellt wird, entscheidet sich die werdende Mutter um. Tatsächlich ist es in der Realität aber eher anders herum. Relativ viele werdende Kinder, bei denen ein Herzfehler festgestellt wird, werden geboren. Das ist halt behandelbar. Bei Trisomie 21 hingegen werden relativ viele Föten abgetrieben.

Das zeigt, wie irreal diese Angst vor einer Behinderung ist. Trisomie 21 ist die Behinderung, die am bekanntesten ist und über die es relativ viel Wissen gibt. Auch ein verbreitetes Wissen darüber, dass das gar nicht so schlimm ist, also die Leute nicht leiden, was bei anderen Behinderungen ja oft so die Idee ist. Trotzdem gibt es vorgeburtliche Untersuchungen, wie einen bestimmten Bluttest oder die Nackenfaltenmessung, mit denen ganz gezielt nach dieser Abweichung gesucht wird. Es gibt eine regelrechte Jagd auf die Trisomie 21.

Wie könnte und sollte eine Situation aussehen, in der die Frau das Recht über ihren Körper hat, selektiven Abtreibungen aber entschieden entgegen getreten wird?

Generell sollte die Grundvoraussetzung gelten, dass keine Abtreibung im Strafgesetzbuch steht. In Deutschland, aber auch in Österreich, ist das noch immer nicht der Fall.

In der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch Österreich unterschrieben hat, verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten dazu, schädliche Praktiken, die ein negatives Bild von Behinderung zeichnen, zu bekämpfen. Das wäre zum Beispiel die Auffassung, dass Behinderung immer mit Leid verbunden ist.

Ich halte eine pränatale Diagnostik, die nur nach der Behinderung sucht, die nicht therapierbar ist und bei der man nichts machen kann, außer eben diese Abbruchsentscheidung zu treffen, eindeutig für eine schädliche Praktik. Es wird dadurch vermittelt, dass es ist wichtig ist, diese Dinge zu wissen, weil man so ein Kind ja eventuell nicht haben will. In Österreich gibt es außerdem noch immer die embryopathische Indikation, die quasi sagt, dass ein Abbruch okay ist, wenn das werdende Kind eine Behinderung hat. Man sollte sich damit auseinandersetzen, ob man das wirklich so findet.

Pränataldiagnostik (PND):

Der Fötus wird während der Schwangerschaft auf Anzeichen von Behinderung untersucht.

Embryopathische Indikation:

In Österreich gibt es eine embryopathische Indikation, die sagt, dass bei einer Diagnose einer schwerwiegenden Fehlbildung oder Behinderung des Fötus ein Abbruch durchgeführt werden kann. In Deutschland wurde die embryopathische Indikation im Jahr 1995 abgeschafft. Die medizinische Indikation wird allerdings seitdem so ausgelegt, dass eine schwangere Frau jederzeit abtreiben kann, wenn die Gefährdung ihrer psychischen Gesundheit aufgrund der erwarteten Behinderung des werdenden Kindes attestiert wird.

Präimplantationsdiagnostik (PID):

Die befruchteten Eizellen werden wie bei der Pränataldiagnostik untersucht, jedoch noch bevor sie im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation in den Körper der Frau eingepflanzt werden. In Österreich ist das nach einer Einzelfallprüfung erlaubt, wenn es davor drei Fehlgeburten oder drei erfolglose In-vitro-Fertilisationen gab. Außerdem, wenn es das Risiko einer schweren Erbkrankheit gibt.

Abtreibung in Österreich:

In Österreich hat Maria Theresia einen Abtreibungsparagrafen (§144) im Strafgesetzbuch (StGB) eingeführt. Auch heute gibt es noch immer einen Abtreibungsparagrafen (§96) im Strafgesetzbuch, Abtreibung ist demnach unter Strafe gestellt, aber durch die 1975 in Kraft getretene „Fristenregelung“ (§97) straffrei möglich, wenn sie vor der 12. Schwangerschaftswoche durchgeführt wird. Für die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs müssen Frauen in Österreich selbst aufkommen.

Kirsten Achtelik: „Selbstbestimmte Norm. Feminismus, Pränataldiagnostik, Abtreibung“, Verbrecher Verlag, Berlin 2015

Kirsten Achtelik ist Sozialwissenschaftlerin und lebt als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Sie ist politisch an den Schnittstellen der feministischen, antikapitalistischen und Behindertenbewegung aktiv.