Die Vermutung, dass der von Mücken übertragene Zika-Virus für die Zunahme an Fällen von Mikrozephalie in Brasilien verantwortlich ist, scheint sich zu bestätigen. Weltweit hat dies zu einer panikartigen Angst vor Behinderung geführt. (in GID 235, April 2016 S. 31 – 32, dort auch Anmerkungen und Belege)
„Je mehr wir wissen, desto schlimmer sieht es aus“, erklärte die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Margaret Chan, am 22. März der Presse. Im Februar dieses Jahres hatte die WHO die Verbindung einer raschen Ausbreitung des Zika-Virus mit der Häufung von Mikrozephalie und anderen neurologischen Abweichungen zum internationalen Gesundheitsnotstand erklärt. Dies ist die allerhöchste Warnstufe, durch die Staaten außerhalb der betroffenen Gebiete aufgefordert werden, Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Erregers zu unterstützen. Zuletzt hatte die WHO im Jahr 2014 wegen der Ebola-Epidemie in Westafrika einen solchen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Eine Ansteckung mit Zika führt bei nur etwa 20 Prozent der erwachsenen Infizierten überhaupt zu Symptomen, die einer leichten Grippe ähneln und normalerweise nach wenigen Tagen vollständig abklingen: Fieber, Gelenkschmerzen oder Ausschlag. Das vor dem jetzigen Ausbruch als harmlos geltende Virus wird von der Stechmücke Aedes aegypti übertragen.
Neue Studien
Das brasilianische Gesundheitsministerium hatte bereits im November 2015 den nationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen, da die gehäuft gemeldeten Schädelfehlbildungen mit einer Infektion durch das Zika-Virus in Zusammenhang gebracht wurden. Ende März veröffentlichten Daten zufolge sind bisher 6.671 Verdachtsfälle auf Mikrozephalie oder andere Abweichungen im Nervensystem gemeldet worden. Bei 907 Fällen ist der Verdacht bereits bestätigt worden, in 1.471 Fällen, einer knappen Mehrheit der bisher geprüften Meldungen, nicht. Diese relativ geringe Zahl bestätigter Fälle ist deshalb relevant, weil in der panikartigen Debatte um die Gefahren von Zika meist mit den tausenden gemeldeten Fällen argumentiert wird. Um die Verbindung Zika – Mikrozephalie eindeutig nachweisen zu können, müssen andere mögliche Auslöser wie Röteln, Syphilis oder Toxoplasmose ausgeschlossen worden sein und der Zika-Virus per Gentest nachgewiesen werden. Dies war bisher erst bei 122 der 907 bestätigten Mikrozephalie-Fälle der Fall.5 Das Virus kann lediglich während der akuten Infektion direkt nachgewiesen werden. Gebildete Antikörper lassen sich mit Standard-Tests nicht von denen nach einer Dengue- oder Gelbfieber-Infektion abgrenzen.
Eine erste Kohortenstudie liegt mittlerweile vor: Seit September 2015 wurden insgesamt 42 Schwangere mit nachgewiesener Zika-Infektion wissenschaftlich begleitet. Bei 29 Prozent der Babys wurden Auffälligkeiten wie Wachstumsstörungen, zu kleine Köpfe und Fehlbildungen im Nervensystem festgestellt.6 Auch bei der Zellentwicklung gibt es Hinweise auf einen starken Zusammenhang: Bei Laboruntersuchungen wurden verschiedene Zelllinien mit dem Erreger infiziert. Kortikale neuronale Vorläuferzellen, die sich normalerweise zur Großhirnrinde entwickeln, erwiesen sich dabei als besonders empfänglich für die Virusinfektion.
Ausbruchsort Französisch-Polynesien
Mittlerweile wird der Virus nicht nur mit einer Zunahme von Mikrozephalie, sondern auch mit einem vermehrten Auftreten des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) in Zusammenhang gebracht. GBS ist eine seltene Immunerkrankung, die zu schweren Nervenschäden mit fast vollständiger Lähmung führen kann und intensivmedizinisch behandelt werden muss. In einer Studie über den Zika-Ausbruch auf Französisch-Polynesien von Oktober 2013 bis April 2014 konnten Forscher_innen einen Zusammenhang zwischen dem Ausbruch von GBS und einer vorherigen Zika-Infektion als wahrscheinlich herausarbeiten. Statistisch müssen demnach von 100.000 Zika-Infizierten 24 mit dem Guillain-Barré-Syndrom rechnen. Eine andere Studie, die sich auf den gleichen Ausbruch bezieht, legt eine Korrelation einer Zika-Infektion im ersten Trimester der Schwangerschaft und der Ausprägung von Mikrozephalie nahe. Die Forscher_innen hatten es hier mit einer sehr kleinen Fallzahl von nur acht Betroffenen zu tun. Ihre statistischen Berechnungen ergeben eine Wahrscheinlichkeit von einem Prozent für das Auftreten einer Mikrozephalie, wenn sich die Schwangere im ersten Drittel der Schwangerschaft mit Zika ansteckt.
Gegenmaßnahmen
Einen wirklichen Nachweis gib es aber weiterhin nicht. Auch ist unklar, warum es in anderen Ländern wie Kolumbien oder El Salvador nicht zum Anstieg der Mikrozephalie-Zahlen gekommen ist. Die WHO hat ausdrücklich erklärt, nicht auf Beweise warten zu wollen, sondern schon im Februar einen „strategischen Aktionsplan“ in Kraft gesetzt. Die betroffenen Länder sollen bei der Überwachung der Viruserkrankung, der Kontrolle der Übertragung, der Aufklärung der Bevölkerung und der medizinischen Behandlung der Patient_innen unterstützt werden. Darüber hinaus werden Projekte zur Erforschung der Erkrankung sowie zur Entwicklung von Diagnostika, Impfstoffen und Medikamenten gefördert.
Abtreibungsdiskurse
Die Meldungen um Zika und damit verbundene Behinderungen haben weltweit eine Debatte um Schwangerschaftsabbrüche ausgelöst. Lateinamerika zählt zu den Regionen mit den rigidesten Abtreibungsgesetzen weltweit. Die Empfehlung mehrerer lateinamerikanischer Regierungen, Schwangerschaften zu vermeiden, führte zu heftigen Protesten und der Forderung nach Legalisierung von Abtreibungen im Allgemeinen und bei fötalen Fehlbildungen im Besonderen. Eine pränatale Diagnose von Mikrozephalie scheint erst in der 28. Schwangerschaftswoche möglich zu sein. Solch Spätabbrüche aus embryopathischen Gründen sind nur in wenigen Ländern weltweit legal. Die Panik unter Schwangeren nimmt zu, genauso präventive Abtreibungen, wenn Schwangere also lediglich befürchten, sich mit dem Virus angesteckt zu haben. Aber auch gegen die Darstellung von Mikrozephalie und Beeinträchtigungen des Nervensystems als unbedingt zu vermeidendes Leiden haben sich Stimmen erhoben. Die brasilianische Journalistin Ana Carolina Caceres hat selbst Mikrozephalie und setzt sich für eine veränderte Wahrnehmung und Debatte ein. In ihrem Blog schreibt sie, Kinder mit Mikrozephalie würden immer geboren, ob mit oder ohne Zika. Zur Beruhigung der Schwangeren sei es wichtig über die möglichen unterschiedlichen Ausprägungen aufzuklären und die Hilfssysteme für Kinder mit dieser Beeinträchtigung auszubauen.