„Genome Editing“ – seit CRISPR-Cas diskutiert die Wissenschaftsgemeinde wieder über eine gezielte und tiefgreifende Veränderung von menschlichen Genen. Ein Überblick über die internationale Debatte. (in GID 234, Februar 2016 S. 12 – 14 , dort auch Anmerkungen und Belege)
„Don’t edit the human germ line“ forderten im März 2015 mehrere bekannte Forscher_innen, unter ihnen Edward Lanphier, Manager der Biotech-Firma Sangamo BioSciences, in dem britischen interdisziplinären Fachmagazin Nature. Die Gruppe sprach sich „in dieser frühen Phase“ gegen jede Anwendung von Genome Editing am Menschen aus und schlug ein freiwilliges Moratorium der Wissenschaft vor. Offenherzig bekannten die Wissenschaftler_innen ihre Motivation: Sie selbst forschen an somatischen Anwendungen für die Techniken. Sie befürchten negative Effekte auf ihre Arbeit, wenn in der öffentlichen Debatte über die Gefahren der Technik die Anwendungsfelder nicht strikt getrennt werden. Von der genetischen Modifikation somatischer Körperzellen versprechen sie sich Fortschritte für die Behandlung von HIV/Aids, bestimmten Krebsarten oder der Bluterkrankheit. Manipulationen der menschlichen Keimbahn, die genetisch vererbbare Veränderungen bewirken, hätten dagegen keinen vorstellbaren medizinischen Nutzen, der nicht von anderen, weniger gefährlichen Techniken wie in vitro Befruchtung (IVF) mit anschließender Präimplantationsdiagnostik (PID) erfüllt werden könne. Die Forscher_innen zeigten sich zudem besorgt darüber, dass das Editieren der menschlichen Keimbahn den Weg zum Enhancement freimachen könnte. Lobend bezogen sie sich auf die Debatte über die Zulassung des Mitochondrien-Ersatzes in Eizellen in Großbritannien.
In einem nur wenige Tage später von der US-amerikanischen Fachzeitschrift Science veröffentlichten Statement zogen 18 Wissenschaftler_innen – darunter Jennifer Doudna und George Church – die Grenze nicht zwischen somatischen und reproduktiven Zellen, sondern zwischen wissenschaftlicher Forschung und klinischer Anwendung. Sie plädierten für eine breite internationale Diskussion über den verantwortungsvollen Umgang mit den Techniken und ein Moratorium auf jedwede klinische Anwendung von Modifikationen der menschlichen Keimbahn.4 Am gleichen Tag veröffentlichte die International Society for Stem Cell Research ein Papier mit einem ähnlichen Aufruf: Ein Moratorium auf alle Bemühungen, mit den neuen Genome Editing-Techniken veränderte menschliche reproduktive Zellen tatsächlich für die menschliche Reproduktion zu verwenden, da ein adäquates Verständnis der Sicherheits- und langfristigen Folgen fehle.
Auch die deutsche Leopoldina und die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hatten sich dem Ruf nach einem Moratorium angeschlossen, ohne näher zu spezifizieren, wie dieses aussehen solle. Die radikalste Abfuhr bekam die Anwendung der Technik an menschlichen reproduktiven Zellen vom Internationalen Bioethikkommitee der UNESCO Anfang Oktober 2015: Deren Ablehnung ist nicht nur temporär, sondern absolut, da sie auf der Bioethikkonvention von 2005 basiert. Das menschliche Genom gehört demzufolge zum gemeinsamen Menschheitserbe, eine intendierte Änderung der menschlichen Erbanlagen verstößt also gegen die Menschenwürde.
Bezugspunkt für die Debatte um ein Moratorium ist die in den Biowissenschaften geradezu mythologisierte Konferenz im kalifornischen Asilomar 1975: Dort trafen sich 140 Wissenschaftler_innen aus 16 Nationen, um über mögliche Gefahren und Sicherheitsregelungen der damals noch sehr jungen Gentechnologie zu diskutieren. Die bei dieser Konferenz aufgestellten Richtlinien für den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen gelten als Modell für eine Einigung auf sinnvolle Selbstbeschränkung unter Forscher_innen. Keimbahnmodifikationen sind in 29 Ländern verboten – 2014 hatten Wissenschaftler_innen in einer Studie die diesbezügliche Gesetzeslage in 39 Ländern untersucht. In 25 dieser Länder – darunter fast alle west- und südeuropäischen Länder – durch Gesetze, in den restlichen vier (China, Indien, Irland, Japan) durch Richtlinien. In den USA gibt es ein temporäres Moratorium unter FDA-Kontrolle.
Schon im April des vergangenen Jahres, also kurz nach der Veröffentlichung der Statements mit den Moratoriumsforderungen, gab eine chinesische Forscher_innengruppe um Puping Liang bekannt, nicht lebensfähige menschliche Embryonen mit CRISPR-Cas manipuliert zu haben. In China wurde dies begeistert aufgenommen, auf die westliche Kritik wurde größtenteils mit Unverständnis reagiert. Diese unterschiedlichen Reaktionen hängen auch damit zusammen, dass in China Bestrebungen nach einer Verbesserung von Menschen positiv konnotiert sind und nicht negativ mit eugenischen Bestrebungen assoziiert werden.
Der Forderung nach einer freiwilligen Beschränkung von Forschung oder Anwendung konnten aber auch andere nicht folgen. Der Harvard-Psychologieprofessor Steven Pinker beispielsweise forderte auf der Konferenz BEINGS 2015 Kritiker_innen auf, dem Fortschritt nicht im Wege zu stehen, da ihre „vagen Ängste“ ansonsten für den Tod und das Leiden einer großen Anzahl von Menschen verantwortlich seien. Für ihn gibt es verschiedene nützliche Anwendungsbereiche der Technik an reproduktiven Zellen, etwa wenn potentielle Eltern die gleiche genetische Abweichung homozygot vererben könnten oder wenn durch IVF nicht genug Embryonen für eine PID produziert werden könnten. Die Gefahr des Enhancement sieht er dadurch ausgeschlossen, dass potentielle Eltern das Risiko nicht eingehen würden. Die Methode „Technikverteidigung durch Konstruktion eines Falles“ wählte auch Josephine Johnston, Forschungsdirektorin am New Yorker Hastings Center. CRISPR-Cas könne helfen, wenn alle per IVF erzeugten Embryonen die unerwünschte genetische Abweichung aufwiesen: „Genome Editing wäre vertretbar, um bedeutendes Leiden und einen vorzeitigen Tod zu vermeiden.“ Schwierig findet sie die Anwendung der Keimbahnmanipulation, um dem zukünftigen Kind bessere Chancen im Leben zu verschaffen oder es an die Präferenzen der potentiellen Eltern anzupassen. Verbieten dürfe man dies aber nicht, da sonst die „elterlichen Rechte und die reproduktive Freiheit“ eingeschränkt würden. George Church hält Genome Editing auch in Fällen, in denen die zukünftigen Eltern „den Embryo nicht verletzen wollen“, also aus moralischen oder religiösen Gründen gegen PID sind, für vertretbar und sinnvoll. Sein Ruf nach einem Moratorium für die klinische Anwendung der Technik am Menschen soll offenbar nur solange gelten, bis man die Risiken besser verstehe und managen kann.
Die Welt schaut nach Washington
Anfang Dezember vergangenen Jahres fand in Washington eine Konferenz statt, der International Summit on Human Genome Editing. Eingeladen hatten die National Academy of Sciences und die National Academy of Medicine (USA), die chinesische Academy of Sciences und die britische Royal Society. Auf dem dreitägigen Treffen sollte eine möglichst vielfältige Debatte über die neuen Techniken und ihre Implikationen geführt werden. Der häufig gezogene Vergleich mit Asilomar lag auf der Hand, da mit dem Vorsitzenden des Washingtoner Organizing Committee, David Baltimore vom California Institute of Technology in Pasadena, einer der wichtigen Köpfe von damals auch hier prominent beteiligt war. Die Schlussfolgerungen, die das Organizing Committee am Ende der Konferenz zog, sind allerdings weit weniger weitreichend: Die Veränderung embryonaler Stammzellen solle sich nur auf die vorklinische Forschung beschränken, mit den veränderten Embryonen dürfe keine Schwangerschaft hergestellt werden. Das Komitee bezeichnete die klinische Verwendung veränderter Stammzellen als „unverantwortlich“, bis die relevanten Sicherheits- und Effektivitätsprobleme gelöst seien und es einen breiten gesellschaftlichen Konsens dafür gebe. Regelmäßig solle geprüft werden, ob dieser Zustand schon erreicht sei. In der Zwischenzeit müsse man sich international bemühen, Regeln und Normen zu erlassen und zu vereinheitlichen. Gegen den Einsatz der Technik in nicht-reproduktiven Zellen gab es keine Bedenken, und auch das Wort „Moratorium” wurde vermieden.
Bereits zu Beginn der Konferenz hatte die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation Center for Genetics and Society einen offenen Brief lanciert, den 150 Wissenschaftler_innen, Aktivist_innen und Beschäftige im Gesundheitswesen erstunterzeichnet haben. Darin werden stärkere Einschränkungen für die Anwendung der Techniken auf menschliche Erbanlagen gefordert. Zudem äußerten die Unterzeichner_innen die Sorge, dass ein Debattenfokus auf technische Fragen der Anwendungssicherheit suggeriere, dass die Modifikation der menschlichen Keimbahn bei ausreichender Sicherheit der Technik auch akzeptabel wäre. Für die Unterzeichner_innen stehen dagegen ethische und soziale Fragen der unwiderruflichen Veränderung der menschliche Natur im Vordergrund.
Auch diese Kritiker_innen verzichten allerdings nicht auf das Argument, dass Eltern, deren Kinder nicht von vererbbaren Genabweichungen betroffen sein sollen, dies bereits mit den herkömmlichen Methoden wie IVF und PID erreichen könnten. Das von allen an der Debatte Beteiligten postulierte Ziel, potentiellen Eltern zu „gesunden und genetisch verwandten Kindern“ zu verhelfen, wird auch hier nicht in Frage gestellt. Das Gen-ethische Netzwerk hat dagegen in einer eigenen Stellungnahme betont, dass „eine bloße Diskussion um das Moratorium für ein Gene Editing an Genen in der menschlichen Keimbahn dazu beiträgt, andere Forschungs- und Anwendungsbereiche dieser Techniken an lebenden Organismen, seien es Menschen, Tiere oder Pflanzen von Kritik und Regulierung abzuschirmen“. Vielmehr gelte es, die Idee von der Möglichkeit „gesunder Kinder“ als Ziel der Manipulationen in Frage zu stellen.